piwik no script img

Rechtsfreier Raum Globalisierung

Die Öffnung der globalen Finanzmärkte schafft Spielräume für Betrüger. So kam der größte Schweizer Wirtschaftskriminelle glimpflich davon  ■   Von Werner Rügemer

Daß die Justiz der globalisierten Finanzwelt nicht gewachsen ist, zeigt einmal mehr der Fall des Schweizer Wirtschaftskriminellen Werner Rey. Seine Karriere ist die Schweizer Variante des gescheiterten deutschen Bauspekulanten Jürgen Schneider. Vor zwei Wochen wurde Rey vom Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Das ist deutlich weniger, als die Staatsanwaltschaft verlangt hatte. Doch der Finanzier, der den größten Firmenzusammenbruch der Schweizer Nachkriegsgeschichte verursachte, wurde vom Hauptvorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs freigesprochen.

Alle Möglichkeiten des Schweizer Rechts seien ausgeschöpft worden, aber es bleibe ein „schaler Nachgeschmack“, so die Neue Züricher Zeitung. Der Grund: Um den Beweis systematischen Betruges führen zu können, hätten Unterlagen aus Finanzoasen rund um den Erdball beschafft werden müssen, etwa von den Bahamas. Auch in den Vereinigten Staaten, Australien und Hongkong hätten Akten geprüft werden müssen; doch wegen der Kosten und juristischer Schranken gab das Gericht auf.

Rey hat seine Lehrjahre bei Bernie Cornfeld und dessen Investors Overseas Services (IOS) absolviert. Cornfeld, von der US-Börsenaufsicht als Schwindler verfolgt, hatte seit den 50er Jahren seinen Sitz in der Schweiz. Von hier aus konnte man straflos Rechtslücken verschiedener Länder ausnutzen, Off-shore-Firmen in der Karibik und Monaco zwischenschalten, durch gegenseitige Rechnungstellung die Firmenwerte hochtreiben.

Anfang der Achtziger begann Rey, ein eigenes Imperium aufzubauen. Er kaufte die winzige Düsseldorfer Sicherheitsfirma Inspectorate, gründete eine Schweizer Filiale. Er siedelte sie in Bern an, weil er hier Steuerfreiheit bekam und kaufte Leasing-, Immobilien- und ähnliche Firmen hinzu. Inspectorate-Firmen verkauften sich gegenseitig Beteiligungen zu überhöhten Preisen. Dadurch wurden Bilanzen geschönt, Banken gaben Kredite und verdienten am Börsengang. Gleichzeitig verdienten Rey und die Banken an den so hochgeschaukelten Börsenkursen. Seine persönlichen Gewinne überwies Rey auf seine Bank auf den Cayman Islands.

Für 600 Millionen kaufte die Inspectorate schließlich einen ganzen Konzern, die Dortmunder Harpen AG. Rey setzte Hans Herzig, Nestlés Ex-Finanzdirektor, als Vorstand ein. In den Aufsichtsrat schickte er Fritz Köhli, Generaldirektor des Schweizerischen Bankvereins. Die Aktienpakete wurden steueroptimiert auf Holdings in Jersey und auf den niederländischen Antillen verteilt. Rey verpfändete die Immobilien und holte so 400 Millionen Mark heraus.

Die finanziellen Manöver waren nur möglich, weil renommierte Wirtschaftsprüfer wie KPMG und Deloitte die Geschäftsberichte testierten und renommierte Banken wie der Berner Kantonalbank, die Züricher Privatbank Julius Bär und das Kölner Bankhaus Oppenheim mitverdienten.

Das Gerichtsverfahren war von vornherein amputiert. Um überhaupt eine Auslieferung des auf die Bahamas geflüchteten Rey zu erreichen, mußten die Anklagepunkte reduziert werden, das Bankgeheimnis etwa blieb ausgeklammert. Zudem haben viele Schweizer Banken Niederlassungen in der Finanzoase. Weder die Schweiz noch die Bahamas praktizieren Amts- und Rechtshilfe in Fiskal- und Bankangelegenheiten.

Die Konkursmasse des aufgeblähten Rey-Imperiums ist indes gering. Die Berner Kantonalbank, von Rey um 150 Millionen Franken geschädigt, wurde mit Hilfe von Steuergeldern saniert. Die Harpen AG hat ihren Schaden auf 375 Millionen Mark beziffert. Sie hat gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder Herzig und Hauff beim Gericht in Dortmund Schadenersatztitel erwirkt; doch die beiden ehemaligen Rey-Mitarbeiter flohen in die Schweiz.

Reys Lehrmeister Cornfeld war 1979 in Genf wegen Betrugs angeklagt, aber freigesprochen worden. Rey und andere entwickelten die Methoden weiter, sie werden heute weltweit angewandt. Die Justiz blieb zurück. Bereits 1996 forderten Richter und Staatsanwälte aus fünf europäischen Ländern in der „Genfer Erklärung“ Amtshilfe in Finanzsachen – ohne Erfolg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen