: KFOR drückt sich vor Polizeiaufgaben
Die Stationierung von 40.000 KFOR-Soldaten läßt sich als Erfolg verbuchen. Das größte Versagen der Truppe ist jedoch, daß sie den Exodus der Serben aus dem Kosovo nicht verhindern konnte. Oder wollte ■ Von Andreas Zumach
Von den geplanten 58.000 Soldaten der internationalen KFOR-Truppe wurden seit dem 13. Juni rund 40.000 in ihrem Einsatzgebiet stationiert. Ohne einen einzigen schweren Unfall oder gar Verlust an Menschenleben rückten diese 40.000 Soldaten der Nato-geführten Kosovo Forces fast ausnahmslos über die Grenzen zu Albanien und Makedonien in die südserbische Provinz ein. Nur einige russische Kontingente reisten aus Bosnien an und durchfuhren Serbien. Aus Albanien und Makedonien werden sie auch versorgt. Bis zum September sollen auch die restlichen 18.000 KFOR-Soldaten – eventuell bis auf einige russische Verbände – sämtlich auf diesem Weg in das Kosovo gelangen. Das jugoslawische Territorium außerhalb des Kosovo wurde von der KFOR nicht berührt. Das ist auch künftig nicht vorgesehen.
Bedenkt man die diplomatisch-politische Vorgeschichte der KFOR, ist dies eine erstaunliche Leistung. Sie wartet immer noch auf eine Erklärung durch die Bundesregierung und ihre vier westlichen Partner in der Balkan-Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Italien). Denn in ihrem Vertragsentwurf für die Februar-Verhandlungen von Rambouillet – der die Stationierung einer internationalen Truppe von lediglich 28.000 Soldaten zur Implementierung eines Autonomieabkommens zwischen Belgrad und den Kosovo-Albanern vorsah –, hatten diese fünf Staaten noch ein ganz anderes Szenario festgelegt.
Im „ militärischen Annex B“ des Entwurfes war für die An-und Abreise der internationalen Truppen sowie für ihre Versorgung mit Material, Waffen, Lebensmittel etc. die zeitlich, rechtlich und politisch uneingeschränkte Nutzung des gesamten Territoriums, Luftraums und der Hoheitsgewässer Jugoslawiens vorgesehen. In der damaligen Debatte um den „Annex B“ beharrte insbesonders Bundesaußenminister Joschka Fischer immer wieder darauf, diese Regelungen seien „international üblich“ und vor allem aus „operativen und logistischen Gründen unverzichtbar“. Denn ein Einrükken der 28.000 Soldaten über Albanien und Makedonien sei wegen der „überaus schwierigen Geländebedingungen“ in beiden Staaten sowie an ihren Grenzübergängen zum Kosovo nicht möglich.
Warum es nach dem elfwöchigen Luftkrieg der Nato und zudem unter zusätzlich erschwerten Geländebedingungen – viele der Zugangsstraßen in den Kosovo wurden von den serbischen „Sicherheitskräften“ vermint, zahlreiche Brücken gesprengt etc. – auf einmal möglich war, die doppelte Anzahl von KFOR-Soldaten aus Albanien und Makedonien in das Kosovo einrücken zu lassen, bleibt bislang das Geheimnis der Bundesregierung und ihrer Kontaktgruppen-Partner.
Die gelungene Stationierung von 40.000 KFOR-Soldaten auf vormals für unmöglich erklärtem Wege ist bislang das einzige Kapitel der voraussichtlich vieljährigen KFOR-Geschichte, das sich als Erfolg verbuchen läßt. Zu Problemen wird es möglicherweise noch bei der Stationierung der weiteren russischen Verbände kommen. Denn trotz aller bisherigen Vereinbarungen zwischen der Nato und Rußland gibt es immer noch Differenzen über die genauen Stationierungsorte. In einigen für die Stationierung russischer Soldaten vorgesehenen Orten lehnt die albanische Bevölkerung die Russen ab und fordert Nato-Truppen, so etwa in Orahovac, nördlich von Prizren im deutschen KFOR-Sektor. Die bislang im dänischen Abschnitt dieses Sektors eingetroffenen russischen Einheiten verweigern zumindest bisher die Kooperation mit den Nato-Truppen.
Das größte Versagen der KFOR ist bislang, daß sie den Exodus der Serben aus dem Kosovo nicht verhindern konnte – oder wollte. Seit Beginn der KFOR-Stationierung vor fünf Wochen sind über 100.000 der 200.000 Serben aus dem Kosovo geflohen. Mit dieser Entwicklung mußte auf Grund der Erfahrungen aus Bosnien nach dem Dayton-Abkommen von 1995 gerechnet werden. Daß ein nennenswerter Teil der Geflohenen zurückkommt, ist derzeit nicht mehr als ein frommer Wunsch. Damit ist das politische Ziel der Nato-Regierungen, die multiethnische Zusammensetzung der Kosovo-Bevölkerung zu bewahren, erheblich in Frage gestellt.
Mit einer frühzeitigen, starken und demonstrativen Schutzpräsenz in den Wohnvierteln und vor den Häusern der Serben hätte die KFOR sie möglicherweise zum Bleiben ermutigen können. Weiterhin ist die KFOR nicht in der Lage oder nicht willens, den Schutz der Serben vor Übergriffen und Racheakten der Albaner zu gewährleisten. Der inzwischen üblich gewordene Verweis, dies sei Aufgabe der der UNO-Zivilverwaltung unterstellten internationalen Polizei, ist eine bereits aus dem Bosnien-Kontext hinlänglich bekannte Ablenkung von den Realitäten. Die internationale Polizei kann diese Aufgabe nicht erfüllen, weil sie bisher noch überhaupt nicht in einer auch nur annähernd handlungsfähigen Größenordnung im Kosovo präsent ist.
Ähnlich wie in Bosnien waren die Staaten, die innerhalb weniger Wochen mit einem Milliardenaufwand 40.000 Soldaten nebst Waffen, Gerät und unfangreicher militärischer Logistik im Kosovo stationieren konnten, bisher nur zur Entsendung von rund 100 Polizisten in der Lage. Deutschland,das mit über 8.000 Soldaten an der KFOR beteiligt ist, hat der UNO-Zivilverwaltung lediglich 200 Polizisten zugesagt. Ob und wann eine handlungsfähige Größenordnung erreicht wird, ist offen.
Doch davon macht wiederum die UÇK die vollständige Abgabe ihrer Waffen abhängig, die entsprechend einer Vereinbarung mit der KFOR eigentlich bis gestern abgeschlossen sein sollte. Denn erst nach einer Ausbildung durch die internationale Polizei dürfen ehemalige UÇK-Kämpfer in lokale Polizeiverbände eintreten.
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