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Der Bagger wird niemals satt

Leise, aber unerbittlich räumt der Eimerkettenbagger Hansa die Fahrrinne der Elbe aus. Nur manchmal beißt er sich die Zähne aus und schmeißt die Kette  ■ Von Gernot Knödler

Mit dem Eimerkettenbagger Hansa ist es ein bißchen wie mit einem Fahrrad. Ist die Kette nicht geschmiert, heult er wie ein Rudel Höllenhunde – ein Geräusch, das alte HamburgerInnen sentimental werden läßt, weil es ihnen aus den Nächten ihrer Kindheit vertraut ist. Zwar sind die Eimerkettenbagger seit der Elbvertiefung von 1976 so leise, daß die Decksleute ohne Probleme ihr eigenes Wort verstehen; was sie tun – die Fahrrinne der Elbe ausbuddeln – ist aber nach wie vor ökologisch umstritten.

Die Eimerkette ist das Herz des 55 Meter langen Baggerschiffs, das über zwei Längs- und vier Quer-trossen vor Mühlenberg vertäut ist. Zusammen mit zwei Schwesterschiffen führt die Hansa fort, was das niederländische Saugschiff Geopotes 14 am 22. Februar begonnen hat. Bis zum Ende des Jahres soll die 200 Meter breite Fahrrinne ausgebaut sein. Kostet Hamburg schlappe 30 Millionen Mark.

Zwei Millionen Kubikmeter Sand hatte Geopotes 14 vom Grund der Elbe gesaugt. Doch mit dem Material, das jetzt den Grund der Fahrrinne bildet, kommt sein Rüssel nicht mehr zurecht. Wie Ackerschollen, fett, grau und schwer platscht es in die Klappschute Hamburg, die neben der Hansa längsseits gegangen ist.

Die Eimerkette läuft über einen Schwenkarm, der durch einen breiten Schlitz im Heck der Hansa ins Meer sinkt. Der Ausdruck „Eimer“ ist stark untertrieben: „Wanne“ wäre für die 64.900-Liter-Näpfe aus Gußstahl eher angebracht. In gleichmäßigem Tempo schaufeln sie weg, was ihnen in gut 15 Metern Tiefe vors Maul kommt: Mergel – ein Gemisch aus Lehm und Geröll – oder auch bloß graubraunes Wasser, falls die Elbe an dieser Stelle ohnehin schon eine reederfreundliche Tiefe aufweist.

Ziel der Saug- und Baggeraktion ist es, mehr stärker beladene Containerschiffe in den Hamburger Hafen zu locken. Hamburg soll in Zukunft der erste Hafen sein, in dem die Schiffe nach großer Fahrt ihre Ladung löschen und auch der letzte, den sie anlaufen, bevor sie auf den Ozean hinaus dieseln.

Spediteure können dann auf den letzten Drücker in Hamburg noch Waren an Bord bringen lassen. Umgekehrt wäre Hamburg der erste Hafen, wo sie erwartete Güter abholen können. Zeitvorteile, auf die die Hafenwirtschaft im Wettbewerb mit Bremerhaven, Antwerpen oder Rotterdam nicht glaubt, verzichten zu können. Die Reeder machten deshalb solchen Druck, daß das Amt für Strom- und Hafenbau der jetzigen großen Vertiefung schon mal eine kleine vorausschickte.

Die Stahlnäpfe steigen hinauf zu einem verkleideten Trichter und kippen ihre Ladung in eine breite Rutsche über der Schute. Wenn Felsbrocken darin sind, kann es laut werden. Ihr Gerumpel ist das typische Geräusch, das sich für die Ausflügler am Elbstrand mit den grauen Bagger-Ungetümen in der Fahrrinne verbindet.

Wenige hundert Meter vom Bagger entfernt, am Leitdamm vor dem Mühlenberger Loch, saugt ein „Hopper“ wie Geopotes gerade ein Loch in den Elbsand, wo der aus der Fahrrinne gebaggerte Mergel verklappt werden kann. Mit dem Sand wird der Griesenwerder Hafen gefüllt. Er bietet dem Containerlagerplatz, der dort entstehen soll, einen festeren Untergrund als der glitschige Mergel.

Für die Naturschutzverbände ist die Klappgrube direkt neben dem seltenen Süßwasserwatt Mühlenberger Loch ein Paradebeispiel „für die Gefährdung eines Gebietes von gesamteuropäischer Bedeutung“: Das mit Giften belastete Sediment aus der Fahrrinne könne die gefährdeten Pflanzen und Tiere in der Finkenwerder Elbbucht schädigen. Die mögliche Trübung des Wassers werde das Algenwachstum beeinträchtigen. Die Nahrungspyramide wäre ohne Basis.

Als schwacher Trost für frustrierte Umweltschützer beißt sich die Eimerkette an ihrer Aufgabe manchmal die Schaufeln aus: Wenn sie auf Findlinge in der Größe von Familienfernsehern trifft, reißen schon mal die schweren Eimer ab, oder sie zerbrechen. Zeit, die Schlosser an Bord kommen zu lassen. Mit derartigen Havarien ist der Schiffsmaschinist überfordert.

Sechs Mann bilden die Besatzung der Hansa: Neben dem Maschinisten ein Smutje mit Pastorenbart, zwei Decksleute und zwei Mann auf der Brücke, dem Baggerstand. Sie schlagen Alarm, wenn ein Eimer doch mal einen tonnenschweren Findling mit nach oben bringt. Denn der würde glatt die Rutsche zerschlagen.

Zehn Tage lang sind die sechs Männer rund um die Uhr an Bord – zur Sicherheit, falls ihr Pott doch einmal plötzlich manövrieren muß. Eine Schiffsschraube haben sie dafür nicht, bloß die sechs langen Ankertaue, an denen sie sich auch hin- und herziehen, wenn sie neue Furchen in den Elbmergel ziehen wollen. Die blaßgrüne 1500-PS-Dieselmaschine im Schiffsbauch treibt allein die Eimerkette.

Hinter dem Maschinenraum liegt eine Schlosserei mit Drehbank, Amboß und Schweißgerät. Auf Holzregalen liegen Ersatz- und Verschleißteile, wie die oberarmdicken Hülsen, die in die Ösen der Eimer gefügt werden. Hier unten schweißen die Schlosser fingerdicke Nähte aus hartem Spezialstahl auf die Kanten der Eimer. Hier unten flicken sie die Kettenglieder, groß wie Kindersärge.

Wenn es ganz dick kommt, ergeht es den Baggermännern wie den Radlern: Dann springt die Kette vom Zahnrad. Taucher müssen in die trübe Flut und die schwere Schlange mit Hilfe von Kränen und Schneidbrennern entwirren, entwinden und zerteilen. Es kann Tage dauern, bis der Bagger wieder läuft.

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