: „Der Aufbau des Kosovo bietet viele Chancen“
■ Die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) hat sich auf ihrer Reise in die Krisenregion für die schnelle Rückkehr der Flüchtlinge ausgesprochen. Die humanitäre Organisation HCC will den Raum Prizren „adoptieren“. Berliner Firmen sollen mit Unternehmen vor Ort zusammenarbeiten
taz: Frau John, Sie haben drei Tage das Kosovo bereist. Welchen Eindruck haben Sie?
Barbara John: Das Land befindet sich in einer Aufbruchstimmung. Die Kosovaren haben zum ersten Mal wirklich das Gefühl, in ihrem eigenen Land zu leben und es jetzt auch gestalten zu können. In Prizren versammeln sich die Menschen abends zu Tausenden auf den Straßen und flanieren. Die Läden sind gut gefüllt, die Cafés voller Menschen.
Die Zerstörungen sind jedoch sehr sichtbar, aber es ist insgesamt weniger, als ich erwartet hatte, vor allen Dingen in Priština und Prizren. In den Dörfern sieht es viel schlimmer aus. Dorthin müssen regelmäßig Nahrungsmittel geliefert werden.
Die deutsche Wirtschaft sitzt ja schon in den Startlöchern. Wie kann sich die Berliner Wirtschaft am Aufbau beteiligen?
Berlin steht noch ganz am Anfang. Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wollen, daß die Berliner Wirtschaft von Anfang an am Aufbau beteiligt wird, um Unternehmen langfristig Zugang zu vermitteln. Angedacht ist insbesondere der Raum Prizren, wo die Bundeswehr stationiert ist.
Mein Eindruck ist, daß das um so besser gelingen kann, je mehr lokale Partnerschaften entstehen. Die Berliner Firmen sollten sich erkundigen, ob sie mit Unternehmen im Kosovo zusammenarbeiten, die sie logistisch und materiell unterstützen können. In Prizren und Umgebung gibt es Textilfirmen, ein pharmazeutisches Unternehmen, Werkzeugbauer.
Mit wem haben Sie dort darüber gesprochen?
Ich habe mit dem UN-Repräsentanten für Wiederaufbau der UN in Prizren, Lennart Mylhback, gesprochen. Er ist erst seit einigen Tagen im Amt. Der andere Gesprächspartner war ein hoher Vertreter der von der UÇK eingesetzen Stadtverwaltung. Ich hoffe sehr, daß beide Institutionen zusammenarbeiten. Unsere Verwaltung könnte Hilfestellungen geben, eine Art Management, wie eine Stadt- oder Dorfverwaltung funktionieren kann. Es gibt ja keine geordneten Strukturen mehr. Die Schule und die Universitäten, das Gesundheitssystem sowie die Polizei waren in der Hand der Serben, und diese Behörden müssen die Kosovaren jetzt selbst aufbauen.
Berlin hat 30.000 Bosnier seit 1992 aufgenommen, die Hälfte davon lebt noch in Berlin. Sie sind oft nach Bosnien gefahren, haben mit Gemeinden über die Rückkehr verhandelt und Wiederaufbauprojekte angeschoben. Kann man daraus Schlüsse für das Kosovo ziehen?
Die Wiederaufbauprogramme und Rückkehrprogramme der Europäischen Union in Bosnien waren nicht gezielt auf die Rückkehrer und Flüchtlinge zugeschnitten, gehen oft an den Bedürfnissen vorbei, sind zu abstrakt. Erst als wir in Berlin mit unserem Starthilfeprogramm anfingen, als wir den Flüchtlingen eine Anschubfinanzierung von 2.000 Mark in die Hand geben konnten und gleichzeitig auch ihren Gemeinden Geld aus eingesparten Sozialhilfemitteln gaben, sind mehr Flüchtlinge zurückgekehrt.
Die Gemeinden sind die noch am besten funktionierenden Strukturen, sie bestimmen den Alltag, also das Wirtschaften, die zivile und rechtliche Ordnung der Menschen. Das ist im Kosovo genauso. Die Gemeinden müssen den Alltag strukturieren und regeln. Das kann die Europäische Union nicht.
Berlin sollte sich deshalb einzelner Gemeinden annehmen. Die humanitäre Organisation HCC, die mich in das Kosovo eingeladen hatte, möchte den Raum Prizren sozusagen adoptieren. Sie verteilt dort schon Lebensmittel. HCC will zukünftig Schulen aufbauen oder auch die Müllbeseitigung organisieren. Sie kennen sich in der Region sehr gut aus und könnten Berliner Firmen als Vermittler Hilfestellungen leisten. Ich werde dem Regierenden Bürgermeister und dem Wirtschaftssenator vorschlagen, das „adopt a district“-Projekt des HCC zu unterstützen.
Aus Berlin sind erst zwei Familien der 320 Kontingent-Flüchtlinge in das Kosovo zurückgekehrt. Die Lager in Makedonien und in Albanien sind dagegen leer. Warum sind die Berliner Flüchtlinge so zurückhaltend?
Ich glaube nicht, daß es an dem Gefühl liegt, im Kosovo nicht sicher zu sein. Ich gehe davon aus, daß zumindest die Kosovaren im Kosovo jetzt absolut sicher sind. Die jetzige Situation ist in jedem Fall besser, als zu der Zeit, als sie das Kosovo verlassen haben. Für die Serben ist leider das Gegenteil eingetreten.
Die materielle Situation dagegen ist für viele Menschen ungewiß. Im Moment werden aber die Jobs neu besetzt, in den Behörden, in der Verwaltung. Zum ersten Mal sind viele Stellen frei, die vorher Serben innehatten, die jetzt aus dem Kosovo geflüchtet sind. Wer jetzt nicht da ist, kommt in Sachen Arbeit zu kurz. Deshalb plädiere ich für eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge.
Die Kontingent-Flüchtlinge sind ja nur sehr wenige, denn in Berlin leben rund 10.000 Kosovo-Albaner, viele von ihnen seit fünf oder sechs Jahren. Die meisten haben keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Bundesinnenminister Schily (SPD) hat am Wochenende gefordert, daß alle Kosovo-Albaner Deutschland verlassen sollen. Er hat angekündigt, daß es weder für UCK-Kämpfer noch für Deserteure Asyl geben werde. Plädieren Sie für Abschiebungen?
Bisher sind Abschiebungen in diesem Jahr nicht angedacht. Das kann sich im nächsten Frühjahr schnell ändern. Es handelt sich bei dieser Gruppe sehr oft um jüngere Männer, die weggegangen sind, um nicht in der jugoslawischen Armee zu dienen. Auch für die gilt, daß sie sich um Chancen bringen, wenn sie jetzt nicht zurückkehren und die Wiederaufbauzeit nicht nutzen, insbesondere Ärzte, Ingenieure und Lehrer. Wenn die Leute nicht innerhalb eines halben Jahres zurückkehren, wird es zu Abschiebungen kommen.
Im Gespräch mit dem Repräsentanten der UCK in Prizren wurde jedoch deutlich, daß die selbsternannte Verwaltung nicht möchte, daß Berliner Kosovaren schnell zurückkehren.
Das liegt daran, daß viele Kosovaren von ihren Verwandten im Ausland unterstützt worden sind. Diese Zahlungen, die sich die Kosovaren in Deutschland entweder von der Sozialhilfe abgespart haben oder, wenn sie arbeiten durften, verdient haben, fallen dann natürlich weg. Ich glaube aber, daß der Aufbau des Kosovo viele Chancen bietet und nicht so abhängig ist von den Überweisungen aus Deutschland. Bald fließen Hunderte Millionen Mark Aufbauhilfe.
Viele Flüchtlinge haben geäußert, daß sie Orientierungsreisen in das Kosovo machen wollen, um zu sehen, ob ihr Haus noch steht. Dann wollen sie noch einmal nach Deutschland zurückkehren. Die Innenminister haben das ja im Juni grundsätzlich beschlossen. Warum ist bisher nichts passiert?
Es gibt Schwierigkeiten mit den Papieren. Von Skopje in Makedonien in das Kosovo einzureisen und wieder zurück nach Deutschland, ist bisher ohne Paß nur schwer möglich. Darum muß sich die Bundesregierung dringend kümmern. Denn solche Reisen sind auf jeden Fall sinnvoll. Es ist nicht verantwortbar, gleich mit einer großen Familie zurückzukehren, wenn das Haus zerstört ist. Auf einer Orientierungsreise könnte das Familienoberhaupt ein Quartier organisieren und nach Arbeitsmöglichkeiten gucken und dann zusammen mit der Familie zurückkehren.
Interview: Julia Naumann
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