: Die Schweden mit dem spitzen Dolch
Neue ökologische Konkurrenz für Strommonopolist HEW. Umweltbehörde plant für Herbst öffentliche Anhörung zur Wirtschaftlichkeit von Gas-Kraftwerken ■ Von Sven-Michael Veit
Den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) droht ein rasantes Bröckeln ihres bislang ungefährdeten Marktmonopols in der Hansestadt. Nicht nur der Preiskampf auf dem Hamburger Strommarkt sorgt in den Vorstandsetagen der Konzernzentrale in der City Nord für Sorgenfalten (taz berichtete gestern). Der wahrscheinlich gefährlichste Konkurrent kommt aus Schweden: Der größte skandinavische Energiekonzern Vattenfall AB drängt jetzt auf den Markt.
Seine Hamburger Tochter VASA Energy wird noch in diesem Jahr mit dem Bau eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks (GuD) in Mecklenburg-Vorpommern beginnen. Spätestens Ende 2002 soll das Großkraftwerk Lubmin bei Greifswald mit 1200 Megawatt Leistung – vergleichbar dem HEW-Atommeiler Brokdorf – ans Netz gehen und Strom auch nach Hamburg liefern, kündigte VASA-Sprecher Christian Gotthardt gegenüber der taz an. Etwa eine Milliarde Mark will VASA investieren, so Gotthardt, denn an der „Wirtschaftlichkeit“ der GuD-Technologie könne es „keine Zweifel geben“.
Ironischerweise sieht sich VASA in dieser Einschätzung ausgerechnet durch ein Gutachten der Berliner Unternehmensberater LBD und des Freiburger Öko-Instituts über die „Wirtschaftlichkeit der HEW-Kernkraftwerke“ bestätigt. In dieser am 9. Juli vorgelegten Expertise im Auftrag der Hamburger Umweltbehörde waren die Gutachter zu zwei vernichtenden Aussagen über die bisherige HEW-Geschäftspolitik gekommen.
„Der kurzfristige Ausstieg aus der Kernernergie und die Errichtung von GuD-Kraftwerken ist für die HEW mit deutlichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden“, resümierte Projektleiter Bernhard Lokau. Für die Alt-AKWs Brunsbüttel und Stade sei „die kurzfristige Abschaltung aus wirtschaftlichen Gründen“ sogar „dringend zu empfehlen“. Der Ersatz aller HEW-Atommeiler durch moderne GuD-Kraftwerke würde die Stromproduktion von über zehn Pfennigen pro Kilowattstunde (kWh) auf knapp vier Pfg/kWh verbilligen; zudem würde dem Konzern ein Barwertgewinn von bis zu 470 Millionen Mark entstehen.
Mit dieser rein ökonomischen Argumentation hat das Gutachten die HEW an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Denn laut Satzung ist die noch zu 50,2 Prozent der Stadt Hamburg gehörende Aktiengesellschaft zum Ausstieg aus der Atomkraft verpflichtet, „wenn dieser wirtschaftlich vertretbar ist“.
Der grüne Umweltsenator Alexander Porschke hatte deshalb bei der Präsentation der Expertise die HEW „zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesem Gutachten“ aufgefordert. Das aber wird noch dauern: „Wir arbeiten daran“, sagt HEW-Sprecher Mario Spitzmüller. Die Experten des Konzerns seien „in sehr sorgfältigen Prüfungen“ des Zahlenwerks begriffen. Nach einer ersten Einschätzung bestehe der Verdacht, daß „die Atomkraft zu ungünstig und GuD zu günstig berechnet“ worden sei. Mit einer abschließenden Stellungnahme sei jedoch erst „nach der Sommerpause“ zu rechnen. Könnte gerade noch rechtzeitig sein. Für den Herbst nämlich plant Porschke ein öffentliches Hearing über das Gutachten mit dessen Verfassern, einer breiten Fachöffentlichkeit und „natürlich den HEW“.
Christian Gotthardt von VASA hält die GuD-Expertise „für einen spitzen Dolch“. Denn der Wirtschaftlichkeitsnachweis, den sein Unternehmen für überzeugend halte, würde „Diskussionen über Restlaufzeiten von Atomkraftwerken überflüssig“ machen. Mario Spitzmüller sieht das großzügig. Es sei Mitbewerbern unbenommen, mit Gaskraftwerken „auf den Markt zu gehen und zu schauen, ob sie sich behaupten können“. Eine Argumentation, die Gotthardt fast flapsig findet.
Es gebe nur „eine sehr begrenzte Anzahl möglicher Standorte“, sagt er. Außer einer Gas-Pipeline und ausreichend Kühlwasser ist auch der direkte Anschluß an das Hochspannungsnetz Voraussetzung. Die meisten solcher Standorte hätten sich die alteingesessenen Atomkonzerne längst gesichert, die HEW unter anderem in Moorburg und in der Nähe des AKW Brunsbüttel. Es gebe da, weiß Gotthardt, „eine Verweigerungshaltung, diese Wettbewerbern und dem Markt zur Verfügung zu stellen“.
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