■ Öko-Freibäder sind besser und billiger als herkömmliche Chlor-Schwimmbäder. Doch die dem Umweltministerium unterstellte „Badewasserkommission“ hat Richtlinien ersonnen, die nicht einzuhalten sind Von Thorsten Denkler: Pack die Badehose ein
Im Bio-Freibad Lindenthal bei Leipzig ist der Krebs zu Hause. Das Wassertierchen lebt zusammen mit Milliarden seiner Artgenossen im Badewasser, wird abervon Menschen, die dort schwimmen oder planschen nicht bemerkt. Still und unauffällig frißt alles, was die Badegäste im Wasser lassen: Urin, Hautabschwemmungen, Schweiß. Umwälzpumpen, Aktivkohle-, Kiesfilter und Chlor werden hier nicht gebraucht, um das Wasser sauberzuhalten. Das spart nicht nur Kosten, sondern ist auch viel angenehmer.
Doch ausgerechnet das grün geführte Bundesumweltministerium will den zehn deutschen Bio-Bäder wegen hygienischer Bedenken nun das Wasser abgraben. Die dem Umweltbundesamt unterstellte Bäderkommission sieht in den ökologischen Freibädern ein latente Gefahr für die Gesundheit. Das elfköpfige Gremium von Chemikern und Hygienikern wacht darüber, daß nichts außer der Mensch selbst im Badewasser eine dauerhafte Überlebenschance hat. Insgesamt 15 verschiedene Werte müssen eingehalten werden, damit aus schlichtem Wasser keimfreies Badewasser wird.
Im vergangenen Herbst hat die Kommission eine neue Empfehlung zu sogenannten „Bio-Teichen“ aufgesetzt, die jetzt den Öko-Badbetreibern das Leben schwermacht. Für das Bundesumweltministerium sind es nämlich mehr als nur Empfehlungen: In einem Schreiben, das der taz vorliegt, wird davon ausgegangen, daß die Richtwerte der Badewasserkommission bereits heute bei der Konstruktion von Bio-Teichen einzuhalten sind.
Um die Hygieneanforderungen für Badewasser zu erfüllen, müssen die Grenzwerte an die der geltenden strenge DINorm 19643 für Badegewässer angebunden werden. Dafür sollen in Bio-Bädern pro Gast und Tag mindestens 60 Kubikmeter Wasser bereitgehalten werden. Für 1.000 Besucher sind das 600 Millionen Liter. Ein solches Bio-Bad hätte ozeanische Ausmaße. Das Bad Lindenthal mit seinen 16 Millionen Litern dürfte dann am Tag nur noch 2,5 Menschen ins Wasser lassen. „Völlig absurd“, meint dazu der Architekt des Bades, Torsten Markurt. Zum Vergleich: In den gechlorten Schwimmbädern kommen auf jeden Gast nur rund 5 Kubikmeter Wasser.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Badegewässer, Rainer Grafinger, hat seinen Optimismus dennoch nicht verloren. „Noch ist nichts ist entschieden“, gibt er sich zuversichtlich. Er hält die Kommission für Hygiene fürwahnsinnig. „Die machen Keimfreiheit zum obersten Prinzip“, sagt er. In Österreich dagegen seien Öko-Bäder längst gesetzlich abgesichert.
Doch die deutschen Kommunen haben enormen Respekt vor der Badewasserkommission. Die Stadt Stollberg im Erzgebirge etwa will ihren Bürgern nach Jahren wieder ein Freibad bieten. Das alte ist marode und steht längst leer. Es sollte jetzt eigentlich durch ein Bio-Schwimmbad ersetzt werden. Kostenpunkt 1,5 Millionen Mark. Ein neues Freibad herkömmlicher Bauart würde 10 Millionen Mark kosten. Doch das Landratsamt Stollberg stellt sich quer. Eine Genehmigung soll es nicht geben, bis die Empfehlung der Badewasserkommission nachweislich eingehalten werden kann.
Bessere Erfahrungen hat die Stadt Uslar gemacht. Schon 1996 hat sie ihr Freibad in einer Arbeits- und Lernaktion für Jugendliche in ein Öko-Bad umgebaut. Das Bad ist ein voller Erfolg: Eintritt wird nicht mehr genommen, weil sich die laufenden Kosten auf unter 20.000 Mark jährlich reduziert haben. Früher mußten Jahr für Jahr 250.000 Mark in das Bad gesteckt werden. Jetzt ist das Bio-Bad rund um die Uhr geöffnet. Gebadet wird zwar unter Aufsicht, aber auf eigene Gefahr. Damit haben die Badegäste genausowenig ein Problem wie das örtliche Gesundheitsamt mit der Badewasserqualität.
Im Leipziger Bad Lindenthal geht man trotz der guten Erfahrungen anderswo erst einmal auf Nummer sicher. Seit der Eröffnung vor wenigen Wochen dürfen in der Probephase nur maximal 300 Menschen ins Wasser. Und bisher ergaben die Wasserproben keinen negativen Befund.
Torsten Markurt vom Leipziger Architektenbüro „Wassergärten“ hat das nicht anders erwartet. Von ihm wurde das Bad konzipiert und im Auftrag der Stadt Leipzig gebaut. Schon bald sollen sich in dem künstlichen See über 1.000 Menschen von der Sommerhitze erholen können, ohne das die Wasserqualität leidet. Daß das funktioniert „haben Beispiele aus Österreich schon bewiesen“, sagt Markurt. Dort hat sich das Prinzip Öko-Bad seit 1990 etabliert – ohne daß die Badegäste reihenweise an Darmkoliken erkranken.
Doch hierzulande gilt die DINorm 19643 für Frei- und Schwimmbäder. Und auch in Lindenthal wird sie nie und nimmer eingehalten werden können. „Wir können diese Norm gar nicht erfüllen“, sagt Architekt Markurt, „weil sie nur mit erheblichem Chemikalieneinsatz und großen Filteranlagen einzuhalten wäre.“ Aber damit könnte man sein Bad kaum noch Bio nennen. Sämtliche Mikroorganismen und Filterpflanzen, die das Wasser reinhalten, würden abgetötet oder blieben in den Umwälzpumpen hängen.
Die Bäderkommission läßt sich dadurch jedoch nicht beirren. Das Lindenthal-Bad müsse behandelt werden wie jedes andere Freibad, meint Kommissionsgeschäftführer Juan Lopez-Pila. Vorschriften speziell für Bio-Bäder gibt es bisher nicht. In der DIN 19643 sind ökologische Schwimmbäder nicht einmal erwähnt. Deshalb berufen sich Torsten Markurt und die Stadt Leipzig wie alle anderen bundesdeutschen Bio-Badbetreiber auf die europäische „Richtlinie des Rates über die Qualität von Badegewässern“ aus dem Jahre 1975. Das Leipziger Gesundheitsamt kontrolliert auf dieser Grundlage wöchentlich die Wasserqualität. Grund für Beanstandungen gab es noch nicht. Im Gegenteil: Sämtliche in der EU-Richtlinie festgesetzten Richtwerte werden weit unterschritten.
Die Leiterin der Abteilung Hygiene im Leipziger Gesundheitsamt, Ingrid Möller, sieht deshalb auch keine Gefährdung: „Von einem Hygienerisiko kann man hier in keinem Fall sprechen.“ Juan Lopez-Pila selbst hätte keine Bedenken, in Lindenthal zu baden. Ihm persönlich würde reichen, wenn der Gast über das erhöhte Gesundheitsrisiko informiert würde, sagte er gegenüber der taz. Die Badbetreiber sind irritiert: Solche Schilder hängen nämlich schon an fast allen Bio-Bädern. Nur in der Empfehlung der Badewasserkommission taucht dieser Tip als Alternative zur Chemiekeule nicht auf.
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