: Ein Bürger in Uniform
Er ist gegen die Wehrpflicht. Er ist gegen öffentliche Gelöbnisse. Offizier Jürgen Rose legte sich mit der Führung der Bundeswehr an und wurde dafür unter Verteidigungsminister Volker Rühe strafversetzt. Nun hofft er auf Rehabilitierung und – rebelliert erneut ■ Von Uta Andresen
Widerspruch mußte Jürgen Rose nicht erst lernen. Widerspruch war ihm schon früh zu eigen. Mit siebzehn gegen seinen Geschichtslehrer und dessen Achtundsechzigerblick auf die Welt. Mit zwanzig gegen seinen Vater und dessen nicht bewältigte nationalsozialistische Vergangenheit. Mit dreißig gegen seinen Arbeitgeber. Auch heute noch.
Die Opposition gegen Lehrer und Vater brachte ihn schnell voran. Auf den Lehrer folgte die Universität, auf den Vater frühe Unabhängigkeit. „Denken konnte ich schon immer selbst“, sagt Jürgen Rose. Die Opposition gegen den Arbeitgeber jedoch behinderte ihn in seinem Fortkommen. Denn dieser, und das liegt in der Natur der Sache, ist besonders autoritär. Ungestraft opponiert keiner in einer Institution, die auf Befehl und Gehorsam ruht.
Dunkle Jeans, dunkles Hemd, gemütlicher Bauchansatz, moderater Händedruck – Oberstleutnant Jürgen Rose, 41 Jahre, hat wenig Militärisches an sich. Goldrandbrille, die helle Ledertasche und die drei Aktenhefter lassen eher an jemanden denken, der etwas vermitteln möchte, als an einen, der eine Mitteilung zu machen hat.
Auf Jürgen Roses Mitteilungen kann die Bundeswehr verzichten. Etwa auf die vom September 1990, zur Zeit der Wende. Da schrieb Hauptmann Rose in der Zeit, daß er eine Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr für falsch halte. Denn NVA war das Repressionsinstrument einer kriminellen Diktatur.
„Hüben wie drüben betätigen sich bereits eilfertig die Vertreter beider Ministerien als Kuppler der Zwangsheirat, gefeilscht wird nur noch um den Umfang des jeweiligen militärischen Hausrats“, schrieb Jürgen Rose, und seine Vorgesetzten können sich nicht gefreut haben über diese ihre Charakterstudie.
„Bundeswehr und NVA sollten plötzlich die deutsche Vereinigung vorexerzieren. Da schwang diese Landserideologie ,Soldat ist Soldat‘ mit“, sagt Jürgen Rose. Innere Führung, Staatsbürger in Uniform, demokratische Armee – das alles sollte plötzlich keine Rolle mehr spielen.
Jürgen Rose sagt, der Fall sorgte für Furore. Was er meint, ist, daß sein Kommandeur versuchte, einen „Offenen Brief“ an Rose nebst Verweis in der Zeit zu plazieren. Was scheiterte. Was er auch meint, ist, daß Vorgesetzte ihm erklärten, was die Meinung der Bundeswehr sei. Was insofern scheiterte, als er erneut erklärte, was die Meinung des Jürgen Rose sei.
Bereits zuvor hatte ein Vorgesetzter über Jürgen Rose geschrieben, man solle ihn „keine politische Bildung abhalten lassen“. Das mußte jemanden schmerzen, der etwas zu vermitteln hat. Der an der Bundeswehruniversität in München Pädagogik studiert hatte. Dem später in einer internen Beurteilung „besondere Eignung für die Lehre und für die Mitarbeit in der sicherheits- und militärpolitischen Forschung“ bescheinigt wurde.
Es paßte also gut, daß Jürgen Rose nach seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mal wieder Dienst in der Truppe abzuhalten hatte. Rose aber wollte die Bundeswehrakademie für Information und Kommunikation in Waldbröl, wo er damals als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, nicht Richtung Truppe verlassen. Auch wenn dies in einer ordentlichen Offizierslaufbahn sich so gehört. „Ich wollte nicht Kompaniechef werden“, sagt Jürgen Rose. Der Personalreferent sagte: „So etwas lasse ich mir von einem deutschen Offizier nicht bieten.“ Mußte er aber, denn der Leiter der Akademie, an der Rose forschte, setzte sich für seinen unbequemen Mitarbeiter ein. Ein Jahr später wechselte Soldat Rose zum Institut für Internationale Politik und Völkerrecht an der Bundeswehruniversität in München, forschte zur Außen- und Sicherheitspolitik. Befehl und Gehorsam.
Das Abhalten von öffentlichen Gelöbnissen? „Atavistische Rituale.“
Der Nato-Einsatz im Kosovo? „Ein Angriffskrieg ohne hinreichende völker- und verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage.“
Der Ausschluß Homosexueller von der Truppenausbildung? „Grotesk. Ein heterosexueller Mann läuft auch nicht jeder Frau hinterher.“
Es gibt kaum ein sensibles Thema in der Bundeswehr, in dem Jürgen Rose nicht Widerspruch gegen die offizielle Sprachregelung der militärischen und politischen Führung übt. Er mache nur von seiner persönlichen Meinungsfreiheit Gebrauch, sagt er. Jürgen Rose – ein „Staatsbürger in Uniform“. Das schließlich sei das Prinzip des Bundeswehrreformers Generalleutnant Wolf Stefan Traugott Graf von Baudissin gewesen. Das Prinzip der „Inneren Führung“ sollte die Bundeswehr resistent machen gegen die Verführungen eines Diktators wie Adolf Hitler. Jeder Soldat ein Demokrat, einer, der zuerst an die Verfassung denkt und dann ans Parieren.
Ein deutscher Soldat tut so etwas nicht. Vor zwei Jahren waren es rechtsextremistische Vorträge und Vergewaltigungsvideos, die die Bundeswehr so peinlich ins Gerede brachten. Das ist die Ausnahme. Mehrere Friedensforschungsinstitute bescheinigen der Bundeswehr „irritierende Defizite“ in ihrem demokratischen Selbstverständnis. Das ist der Alltag. „Die Bundeswehr hat viel an innerer Liberalität verloren. Kritik ist unerwünscht und schädigt die Karriere, im günstigsten Fall bleibt sie folgenlos“, schreibt Bernhard Fleckenstein, langjähriger Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. „Das Demokratieprinzip ist auf reine Sozialtechnologie reduziert“, sagt Soldat Rose. Die Truppe – zivil in der Repräsentation, zackig in der Führung. „Die Reformer um Baudissin konnten sich nie durchsetzen“, sagt Rose. Er könnte genauso gut sagen: Durchgesetzt haben sich die Reaktionäre. Er sagt es nicht. Nicht so deutlich.
Ein deutscher Soldat tut so etwas nicht – das mußte auch Volker Rühe, damals noch Verteidigungsminister, gedacht haben, als ihn Soldat Rose im Juni 1997 auf einem sicherheitspolitischen Forum in Berlin fragte, was er von der Aussage des Bundespräsidenten Roman Herzog halte, die Wehrpflicht bedeute einen so eklatanten Eingriff in das Leben eines jungen Menschen, daß sie in einer sicherheitspolitisch stabilen Lage neu überdacht werden müsse. Volker Rühe reagierte so, wie vor ihm wohl etliche seiner Untergebenen: genervt. Und Jürgen Rose bekam ein paar Tage später, daheim am Forschungscenter in Garmisch, einmal mehr von einem Vorgesetzten zu hören, was Unterlassungspflicht in der Armee bedeutet, was ein deutscher Soldat nicht tut.
Doch Soldat Rose tut noch mehr, er schreibt in der FAZ einen Artikel mit dem Titel „Die allgemeine Wehrpflicht ist nicht zu halten. Anmerkungen zu einer unerwünschten Debatte“. Und macht klar, was er von der Wehrpflicht hält, nichts nämlich, und daß sie ausgesetzt werden müsse, damit die Bundeswehr finanzierbar, flexibel und auf den neuesten Stand zu bringen sei. Das war im Oktober 1997. Und diesmal, glaubt der oberste Dienstherr der Truppe dafür sorgen zu müssen, daß auch Soldat Rose so etwas nicht wieder tut. Jürgen Rose wird vom stellvertretenden Generalinspekteur, Admiral Hans Frank, auf die Couch zitiert, vernommen und, nachdem er keine Besserung, also Beugung gelobt, ans Luftwaffenamt Köln versetzt. „Strafversetzt“, wie Jürgen Rose sagt. Weil er seine Meinung frei äußert, sich politisch betätigt. Auch wenn das nach Art und Inhalt nicht im Sinne des Verteidigungsministers ist.
Nicht im Sinne des Verteidungsministers, in diesem Falle Gerhard Stoltenbergs, verhielt sich Major Helmuth Pries. Er hatte öffentlich die Aussage „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“ gestützt. Und wurde degradiert. Das Urteil mußte später aufgehoben werden.
Nicht im Sinne des Verteidungsministers verhielt sich der Militärexperte Detlef Bald, der das Friedensgutachten im vergangenen Jahr schrieb. Er wurde im Frühjahr 1998 vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages zu den rechtsextremistischen Vorfällen in der Bundeswehr gehört. Als er den demokratischen Zustand der Truppe bemängelte, wurde er seinen Lehrauftrag an der Bundeswehruniversität Neubiberg los. Begründung: Wehrzersetzung. Jemanden, der der militärischen Führung „rechtskonservative Tendenzen und ungute Abgrenzungstendenzen von der Gesellschaft“ bescheinigt, kann man bei der Zucht des Offiziersnachwuchses nicht gebrauchen. Detlef Bald sagt: „Das Militär geht eigene Wege, und die Politik schweigt dazu.“ Damit meint er nicht die konservative Besetzung der Hardthöhe in den Zeiten eines Manfred Wörner und eines Volker Rühe. Nicht nur. Er meint auch die neue, sozialdemokratische unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Weisung: „Bloß keine Skandale in der Öffentlichkeit, bloß kein Ärger mit der Führung.“ Von dem neuen, weichen Tonfall auf der Hardthöhe sei in der Truppe kein Widerhall zu verspüren. Alles Sozialgestus, würde Jürgen Rose sagen.
Porz-Wahn in Köln, ein Stadtteil, der vor allem eines zu sein scheint: Standort. 6.000 Soldaten sind hier stationiert, unter der Woche werden im Stadtwäldchen zum Ärger der Anwohner Manöver gefahren, am Freitag nachmittag und Montag morgen ist der kleine S-Bahnhof übervoll mit Männern in oliven Kampfanzügen, blauen Uniformen. Hier leistet Jürgen Rose, der Wissenschaftler, seit anderthalb Jahren im Marxschen Sinne entfremdete, sinnentleerte Arbeit. Sagt Soldat Rose. Seine Aufgabe ist hier, die Ausbildung von Unteroffizieren zu steuern. Per Ausbildungsanweisung. „Auf so einen Job gehört jemand, der mal in der Ausbildung war“, sagt Jürgen Rose. Nicht jemand, der sich mit internationalen Sicherheitsfragen beschäftigt hat.
Aufsätze in der Truppenpraxis, Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden, in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift. Veröffentlichungen in der Zeit, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Süddeutschen Zeitung. Vorträge an der Evangelischen Akademie Tutzing, an der Universität Budapest, vor der Deutschen Atlantischen Gesellschaft. Zwei dicke Aktenordner füllen seine Publikationen bislang, liebevoll nach Datum sortiert, abgeheftet und versehen mit einer Liste, für den schnellen Überblick. Orden für einen, der auf Rangabzeichen keinen Wert legt. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß ihn manche in der Truppe „Berufsrevoluzzer“ nennen, einen, der „etwas Missionarisches“ habe. Und wie kommt auch einer, für den Widerspruch zu einem sinnvollen, produktiven Gespräch gehört, dazu, sich ausgerechnet in eine Institution zu begeben, die auf Autorität baut? Und muß er nicht gehen, spätestens dann, wenn er merkt, daß er diese Institution nicht ändern kann? Das zumindest ist das System Bundeswehr, das dafür sorgt, daß Unbequeme nicht lange unbequem sind. In der Regel. Manchmal führt jedoch dieses System dazu, daß Unbequeme bleiben. Nun erst recht.
Im April hatte er es aufgehängt, dieses Blatt, an seiner Diensttür. Auszüge aus zwei Artikeln von ihm, Jürgen Rose, gegen die Wehrpflicht und, wohl zur Sicherheit, einen Artikel über die Wehrbeauftragte Claire Marienfeld und ihre Sorgen über die mangelnde freie Meinungsäußerung in der Bundeswehr. Wichtige Abschnitte mit Leuchtstift markiert. Wie der Satz von Claire Marienfeld: „Soldaten, die eigene Vorstellungen entwikkeln, mögen gelegentlich unbequem sein. Das widerspruchslose Hinnehmen von Mißständen entspricht jedoch nicht dem Bild vom mitdenkenden Soldaten.“ Oder der aus der Süddeutschen Zeitung: „Das Potsdamer Landgericht hatte am Freitag in einer Entscheidung über einen 30 Jahre alten Totalverweigerer die Wehrpflicht als verfassungswidrig bezeichnet.“
Lange konnte sich Jürgen Rose nicht darüber freuen, daß das Landgericht Potsdam in seiner Urteilsbegründung fast im Wortlaut seiner vor Jahren bereits entwikkelten Argumentation folgte, wie er meint. Das Blatt wurde abgehängt. Politische Betätigung im Dienst sei nach Paragraph 15 Soldatengesetz untersagt, belehrte ihn der Chef des Stabes schriftlich. „Das ist doch absurd“, sagt Jürgen Rose, „die Wehrbeauftragte sorgt sich um die Sprachlosigkeit von Soldaten, und ich darf nicht meine Meinung äußern.“ Innere Führung, politische Bildung – ein deutscher Soldat braucht so etwas nicht.
Jürgen Rose hofft darauf, daß er wieder in den wissenschaftlichen Dienst darf, wenn der ein oder andere ranghohe Vorgesetzte am 1. Oktober in den Ruhestand geht. Nun hat er sich bei der Wehrbeauftragten beschwert. Und ist damit wieder dabei, das zu tun, was er immer tut: spielen, genaugenommen: reizen.
Sein Arbeitgeber ist besonders autoritär. Ungestraft opponiert keiner in einer Institution, die auf Befehl und Gehorsam ruhtEine eigene Meinung? Innere Führung, politische Bildung – ein deutscher Soldat braucht so etwas nicht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen