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„Die Deutschen sind selber schuld. Viagra ist viel gefährlicher“

■ Der österreichische Gynäkologe Peter Safar kann die Aufgeregtheit in der deutschen Debatte über die Abtreibungspille nicht nachvollziehen

Peter Safar, Chefarzt am Krankenhaus Korneuburg bei Wien, wendet die Abtreibungspille „Mifegyne“ bereits seit Januar an.

taz: Wie in Deutschland ist auch in Österreich die Mifegyne erst seit Anfang Juli zugelassen. Wie kommt es, daß Ihre Klinik sie schon seit Januar anwendet?

Peter Safar: Über eine ganz offizielle Importgenehmigung. Nachdem die Mifegyne ja in Frankreich schon seit elf Jahren zugelassen ist, ist es als EU-Mitglied möglich, sich die Einfuhr genehmigen zu lassen.

Hätte auch eine deutsche Klinik die Mifegyne so einführen können?

Ja, aber es ist ein mühsames Verfahren, denn Sie müssen jede Bestellung vom Bundesministerium genehmigen lassen.

Österreich war am europäischen Zulassungsverfahren beteiligt – warum sind Sie vorgeprescht?

Wir haben gleich, nachdem der Hersteller ankündigte, Mifegyne europaweit zugänglich zu machen, eine Importgenehmigung beantragt. Jede Frau sollte das Recht haben zu entscheiden, ob sie schwanger sein will oder nicht. Und dann auch das Recht auf die Wahl. Wenn wir eine Methode haben, die, was die körperliche Integrität betrifft, sicherer ist, dann wäre es ganz eigenartig, die Methode nicht so schnell wie möglich anzubieten.

In Deutschland spricht die katholische Kirche von einer „Todespille“ – ficht Sie im katholischen Österreich so etwas an?

Wir sind natürlich auch bedroht worden. Aber ich beschäftige mich mit dieser Argumentationslinie nicht mehr – wenn man das so sieht, muß man das akzeptieren, und dann soll man nicht abtreiben, aber ich sehe es nicht so.

Worin sehen Sie die Vorteile der Mifegyne genau? Die medikamentöse Abtreibung soll ja auch sehr belastend sein.

Es ist natürlich ein länger dauernder Prozeß. Von außen sieht es so aus, als wäre es psychisch viel belastender, etwas bewußt mitzuerleben, aber wahrscheinlich ist genau das Gegenteil der Fall. Das lehrt uns die Psychoanalyse: Dinge, die wir bewußt erleben, sind später besser zu bewältigen als Dinge, die wir ausgeblendet haben. Wenn man eine allgemeine Narkose hat und die Verantwortung an den Gynäkologen abgibt, dann ist das nicht unbedingt weniger belastend, als wenn man bewußt alles miterlebt und mitverantwortet.

Haben Sie die Klinikangestellten besonders geschult?

Wir haben einen Telefondienst und eine Psychologin dabei, die Gynäkologen haben sich zum Teil in Frankreich fortgebildet. Diese Methode ist sehr beratungsintensiv, und man muß sich mit der Frau im wahrsten Sinne des Wortes auseinandersetzen.

Gibt es Frauen, die nach der Einnahme der ersten Pille Zweifel bekommen?

Das kann passieren. Deshalb ist es so wichtig, die Frauen von Anfang an über die Methode so gut und realistisch wie möglich aufzuklären. Es ist keine „sanfte Abtreibung“ und nicht „nur eine Pille“. Man muß versuchen herauszufinden, wie ambivalent eine Frau ist. Wenn sie noch nicht sehr sicher ist, dann rate ich zu warten. Aber auf der anderen Seite muß man sagen, daß weit mehr als die Hälfte der Frauen sehr schnell und früh absolut sicher sind.

In Deutschland wird unter den Ärzten debattiert, ob man das für Abtreibungen nicht zugelassene Zusatzmedikament Cytotec anwenden kann. Sie verwenden dieses Prostaglandin. Haben Sie keine Bedenken?

Zu dieser Debatte in Deutschland muß ich sagen: Die Deutschen sind selber schuld. Sie wollten zu perfekt sein. Da hat uns die österreichische Schlamperei geholfen. Es gibt so viele Medikamente auf dem Markt, die jeder Arzt ohne mit der Wimper zu zukken auch für andere Indikationen verwendet. Ich sehe überhaupt kein Problem darin, ein Prostaglandin, das lange und gut dokumentiert ist und das eindeutig überlegen ist, anzuwenden – auch wenn das im Beipackzettel nicht so steht. Da muß man ein bißchen Verantwortung übernehmen.

Wie hoch schätzen Sie denn das Risiko ein, daß Gynäkologen deshalb verklagt werden, falls bei der Abtreibung etwas schiefgeht?

Das muß man auf sich zukommen lassen, das kann ich nicht einschätzen. Aber man verschreibt so viele Medikamente, die viel gefährlicher sind: Viagra ist blitzschnell zugelassen worden, und kein Mensch hat große Diskussionen geführt, wie gefährlich das sei. Eigentlich dürfte man Viagra nur unter stationären Bedingungen einnehmen.

Interview: Heide Oestreich

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