piwik no script img

„Die Angehörigen wollen Gewißheit“

■ Deutsche Experten beginnen in Orahovac mit der Untersuchung von Massengräbern. Einheimische fordern genaue Ermittlungen

Die Zelte sind schon aufgebaut, das Terrain ist gesichert und von Minen gesäubert: Seit gestern untersucht das erste forensische deutsche Team Leichen, die während der letzten Monate und Jahre hier auf dem Friedhof von Rahovec in Einzel- und in Massengräbern bestattet worden sind. Im Auftrag des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sollen hier Beweise für die Verbrechen der serbischen Soldateska gesammelt werden.

Vladimir Dzuro, der tschechische Sprecher des Untersuchungsteams von Den Haag, erklärte gestern, dem Tribunal seien Hunderte Stätten im Kosovo bekannt, wo Ermordete liegen sollen. Auf dem Friedhof von Rahovec erhoffe man sich Aufschluß über die Verbrechen, sagt Professor Randolph Penning, Gerichtsmediziner aus München, der als Mitglied eines 30köpfigen Teams die als Massengräber deklarierten Stellen und Einzelgräber untersuchen wird.

Es ist ein weitläufiges Gelände, das am Rande der Stadt Orahovac liegt. Es gibt viele neue Gräber von Menschen, die während der Aktionen der serbischen Armee in umliegenden Dörfern und der Stadt Rahovec in diesem Frühjahr ermordet worden sind. So wie die kürzlich gekennzeichnete Grabstätte der Familie Sharku-Cmega: Drei Erwachsene und vier Kinder liegen hier. Diese Menschen wurden nach Auskunft der Schwester der ermordeten Vanheri, Mutter zweier der getöteten vier Kinder, am 5. Mai dieses Jahres getötet, nachdem serbische Paramilitärs in das Haus der Familie eingedrungen waren. Die erste Untersuchung des Teams bezieht sich auf diese Familie. Eine Leiche sei schon einer genauen Analyse unterzogen worden, sagt Kriminaldirektor Manfred Rutschinski, der das Team in Orahovac leitet.

Hier auf dem Friedhof liegen neben kürzlich umgebetteten Kämpfern der UÇK auch Opfer aus dem Dorf Pustasel. Am 27. März 1999 wurden dort 106 Männer erschossen. Ihre Leichen wurden Tage darauf von zurückkehrenden Dorfbewohnern bestattet. 37 dieser Leichen wurden später auf dem Friedhof von Rahovec von serbischen Behörden in Einzelgräber umgebettet.

Das Team wird aber auch jene Stellen untersuchen, wo Massengräber vermutet werden. Oberhalb des Friedhofs liegen nach den vorläufigen Untersuchungen der einheimischen Behörden und Menschenrechtskommissionen wahrscheinlich Hunderte von Leichen. Es sind Opfer des Massakers, das vom 17. bis 24. Juli 1998 in Rahovec stattgefunden hat. Diese Massengräber sollen nach dem Willen von Ermittler Rutschinski später begutachtet werden. „Wir werden uns von dieser Stelle aus nach oben zu den Massengräbern vorarbeiten.“

Gerüchte, wonach diese Gräber überhaupt nicht untersucht werden würden, wies der Sprecher Den Haags, Dzuro, zurück. In Rahovec würde eine solches Vorgehen viel Staub aufwirbeln. Jahja Shehu, ein schon von Den Haag befragter Zeuge, erklärt: „Die Angehörigen wollen Gewißheit.“ Er setze auf ordnungsgemäße Untersuchungen. „Sonst wird es hier Demonstrationen geben.“

Die Ermittler gehen ein erhebliches Risiko ein. Ein britisches Team stieß bei Ausgrabungen auf eine Minenfalle, ein Faden war an einer Leiche angebracht, der eine Mine zünden sollte. Die Minenfalle wurde glücklicherweise von den Spezialisten rechtzeitig bemerkt.

Erich Rathfelder, Rahovec

Die Ermittler gehen ein erhebliches Risiko ein. Ein britisches Team stieß bei Ausgrabungen auf eine Minenfalle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen