■ Kolumne: Von A bis Z
Buena Vista Social Club. Die Nummer eins. O Gott. Endlich. Wie gut. Wie rund. Wie wunderbar. Danke, Ry Cooder. Danke, Deutschland. Dank an Fidel Castro und Helmut Kohl. Danke, Sampler, Drum'n'Bass, Electronica, Boygroups, Hamburger Schule, Postrock, SPD, CDU, Grüne, Kosovo, Bürokratie, Produktmanagement, Informationsgesellschaft, Internet und die Geschmeidigkeit, mit der diese Gesellschaft zwischen entkernter Ödnis und fortwährender Enttäuschung fatalistisch und verfeinert zirkelt. Danke, Gestammel, Ironie, Zynismus. Vielen Dank!
Wie lange habe ich über diese ersten Worte nachgedacht, alle Optionen durchgespielt – Dekonstruktivismus, Fan, Distanz und mir überlegt, Motivation und Praxis eines Musiktexts zu zerlegen, wie und warum es geht, heute noch einer zunehmend desinteressierten und desillusionierten Leserinnenschaft neue Legenden zu verkaufen oder schlimmer noch, es gar nicht erst zu versuchen und das dünnlippige, kulturpessimistische bis reaktionäre Lied auf die heiligen, unkorrumpierten Reservate zu singen, kapitulierend vor einem oh so handwerks- und substanzlos überbordenden Aktivismus, worldwide wohlgenährt, so viele Stimmen und so viel kreativer Dünkel.
Wer spricht da noch mit welcher Autorität zu wem? An was können wir uns halten? An die Charts, die Geschichte oder die Theorie? Aber wer soll das hören, wer will das hören, wer wer wer? Beim Versuch, meine mittlerweile komplett ver-spannte Nackenmuskulatur zu lockern, dachte ich an ein wunderbares, gerade zehn Tage zurückliegendes Konzerterlebnis, als in der Fabrik George Clintons ebenso große wie grandiose Band auf selten gemeinsame Weise die Qualitäten einer neben- und doch miteinander spielenden Gruppe aufgezeigt hatte und wo sich für mich Hakim Beys Forderung nach Präsenz und Differenz auf spürbare Weise einschrieb und so mehr Musik schuf. Musik!
So fand ich mich kurzzeitig in einem fatalen, ausschließlichen Authentizitätswahn wieder, aus dem nur ein Ebenenwechsel helfen konnte, zum Beispiel in die Sinnlosigkeit von Nachberichten, die es dringend zu thematisieren gilt und überhaupt, das strukturelle In-Frage-Stellen von selbstbezüglichem Musikjournalismus, Form und Inhalt und dancing about architecture. Doch, da ist was drin, was ich, du, ihr, wir wollen: Tanzen, Unterhaltung. Staatstragend hin und her, oder vielleicht doch nicht ganz, streuen wir was ein, was den Groove nicht stört, und nennen es Edutainment - denn wie konstituiert sich das entäußernde Ego, wenn nicht über Meinung und das ist über die Formfrage bestens einzulösen.
Also warum nicht die gleichermaßen konsumfreundliche wie freudvoll zu schreibende Form eines A-Z? Das scheiterte schon daran, daß ich mich bei „P“ nicht zwischen Pop, Politik und Postmoderne entscheiden konnte, auch „A“ bot mit Anachronismus, Analfixiertheit und Andocken zu viele reizvolle Möglichkeiten und dann ging es erst richtig los und mir wurde schwindlig. Ein großes Loch tat sich auf. Freiheit macht arm. Bis ich zu „B“ kam. Beatles oder Backstreet Boys?
Oder „G“? Ruben Gonzales ist fast so alt wie dieses Jahrhundert und er hat gute Chancen, am Ende desselben mit den Liedern, die er vor Faschismus, Sozialismus und den Folgen sang, als erster durchs Ziel zu gehen, sein perlweißes Gebiß lustvoll in die Havanna rammend. Und alle, wirklich alle, halten sich in den Armen, summen angeeignete Tradition wie den Rosenkranz und erwarten Vergebung. Gütiges Alter. Chan Chan.
Holger in't Veld
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