: Kubas Troubadoure, die Zweite
■ Neu im Kino: „Lágrimas Negras“ aus runzeligen Musikeraugen
Nur selten hat man im Kino die Gelegenheit zu sehen, wie zwei Filmemacher das gleiche Thema behandeln. Nach dem erstaunlich großen Erfolg von Wim Wenders „Buena Vista Social Club“ zeigt das Kino 46 nun einen zwei Jahre früher gedrehten Film, der eine fast identische Geschichte erzählt. Auch in „Lágrimas Negras“ wird eine Gruppe von greisen Kubanern vorgestellt (ein 62jähriger bezeichnet sich selber als den Benjamin, der noch viel zu lernen hat), die die traditionelle kubanische Musik, den „son“, spielen, damit auf Tournee durch Europa reisen, zu Hause unter der kubanischen Sonne viel entspannter und anrührender musizieren und vor der Kamera in poetischen Anekdoten von ihrem Leben erzählen.
Im direkten Vergleich kommt „Lágrimas Negras“ viel unspektakulärer daher. Zum einen sind die fünf alten Herren des „Vieja Trova Santiaguera“ nicht solche begnadeten Selbstdarsteller wie ihre berühmten Kollegen, zum anderen war die holländische Filmemacherin Sonia Herman Dolz nicht so auf der Suche nach dem pitoresken Detail wie Wim Wenders. Sie verklärt das heruntergekommene Havanna nicht zu einem historischen Museum: Die uralten amerikanischen Straßenkreuzer und bröckelnden Hausfassaden tauchen bei ihr nur an den Bildrändern auf. Und sie läßt sich viel Zeit: Der Film wirkt viel länger als seine 75 Minuten Spielzeit.
Der Erzählrhythmus irritiert zuerst ein wenig, aber langsam kommt man dahinter, warum der Film den greisen Troubadouren so viel Zeit läßt: Genauso langsam bewegen sie sich auch, der Film folgt diesem Takt aus Respekt vor seinen Protagonisten. So gibt es in „Lágrimas Negras“ einige wunderbare Einstellungen, die das Kamerateam nur mit viel Geduld in den Kasten bekommen haben dürfte. Etwa wenn die Frau eines der Senioren dessen Hemden bügelt und dabei erzählt, wie eitel und pingelig er sich auch jetzt noch mit seiner Kleidung gebärdet, während dieser gleich nebenan faul und selbstzufrieden in seinem Sessel sitzt.
In einem wie für dieses Quintett maßgeschneiderten Lied werden die Lahmen aufgefordert, ihre Krücken wegzuwerfen, um zu tanzen, und Sonia Herman Dolz hat dafür die genau entsprechenden Bilder gefunden: Zuerst sieht man Reinaldo Creah gebrechlich und auf den Stock gestützt über die Bühne humpeln, auf der er am Abend mit seinen Kollegen spielen wird. Er stampft auf, macht ein paar Tanzschritte, kommt in den Rhythmus und schon tänzeln seine Beine mit einer jugendlichen Eleganz, die später im Konzert das Publikum begeistern wird. Ein bewegender Höhepunkt ist schließlich die Pilgerfahrt der greisen Kubaner zum Grab von Karl Marx, den die fünf liebevoll „Carlos“ nennen. Mit solch einer schönen, ganz beiläufig gezeigten Metapher für das antiquierte kubanische System kann Wim Wenders nicht dienen.
Wilfried Hippen
„Lágrimas Negras“ täglich bis Dienstag um 22.15 Uhr im Kino 46 (OmU)
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