: Die Bimmler vom Mehringdamm
Hier regieren der schlechte Geschmack und das Neuköllner Proletariat: Die Teufelsberger mischen seit fast zwanzig Jahren mit ihren Trash-Revuen die Welt der Berliner Off-Szene auf. Ein Porträt der Gruppe ■ von Axel Schock
Die Stella GmbH kann aufatmen. Eine Klage wird nicht nötig sein. Was seit Donnerstag unter dem Titel „Der Bimmler von West-Bérlôen“ in der Kalkscheune aufgeführt wird, hat mit dem Disneyschen Glöckner nicht mehr viel gemein. „Im Gegenteil, wir haben Hits am Fließband“, sagt Petra Krause, die mit Bob Schneider, Olaf Wriedt und Ades Zabel zum harten Kern der Teufelsberg Produktion gehört.
Hits von Madonna bis Mambo fand man einmal mehr in der Plattenkiste, und diese bilden den passenden Hintergrund für die Cyperspace-Timetunnel-Trash-Show mit Diaprojektionen, die die Teufelsberger nach dem großen Vorbild am Marlene-Dietrich-Platz gemacht haben.
Nach grober Schätzung dürfte „Der Bimmler von West-Bérlôen“ Show Nr. 45 der schwulen Gruppe von der Teufelsberg Produktion sein. In einem Zeitraum von knapp zwanzig Jahren entstanden Bühnenstücke wie „Grabe mal nach Rosenthal“, intime Einblicke in das Innenleben des KaDeWe, Trash-Revuen und immer wieder Verballhornungen von jeweils aktuellen Musiktheatererfolgen in dieser Stadt: von „Grease“ („Grieß“) bis „Juttas Stübl am Dietmarsee“.
Angefangen aber hat das alles mit Super-8-Filmen, für die sich der Schüler Ades Zabel – in Anlehnung an die Paramount Pictures – den Namen „Teufelsberg Produktion“ ersann. Ein gutes Dutzend sonderlicher Spielfilme mit zahlreichen Einblicken in die deutsche Kleinbürgerseele entstand, gekrönt von drei Teilen einer Parodie auf die erfolgreiche SFB-Vorabendserie „Drei Damen vom Grill“, die bei den Teufelsbergern zu „Drei Drachen vom Grill“ mutierte.
Mit ihren Bühnenshows aber entdeckten sie ihre wahre Berufung. Denn auch wenn bei ihnen die Männer Frauenklamotten tragen: Travestie und Fummelshow haben bei ihren Shows nichts zu suchen. Hier gibt's keinen Glitter und Glamour, die Kostüme der Teufelsberger stammen aus dem Altkleidersack oder dem Sommerschlußverkauf bei Woolworth. Hier regieren der schlechte Geschmack und die Improvisation, hier regiert das Neuköllner Proletariat: Neonfarbene Leggins, schlecht toupierte Dauerwellen – Ades Zabel und Co plündern die Kleinbürgerwelt zwischen Nogat- und Karl-Marx-Straße, wo Rudis Reste Rampe und der Penny Markt noch zu den großen Errungenschaften der Zivilisation zählen. Dazu steht Teufelsberg Produktion für Chaos und Trash am Rande des Wahnsinns, für pubertäre Geschmacklosigkeiten und ungebrochenen Spieltrieb.
Und wenn man will, kann man die Teufelsberger auch als Schmuddelkinder und Subversionsterroristen der Berliner Off-Szene bezeichnen: Sie sagten ja zum Boulevardtheater, als das noch lange nicht en vogue war, und sie hatten schon ihren Spaß an modischen wie musikalischen Geschmacklosigkeiten der Schlagerwelt und der Siebziger, als von deren kommerziellen Vermarktung noch keiner zu träumen wagte. Über Jahre hinweg haben sie sich auf diese Weise eine Fanschar verspielt, die längst weit über die Schwulenszene hinausreicht: Man ist Dauergast in der Bar jeder Vernunft, dem Tränenpalast oder der Kalkscheune, und auch in Hamburg und in Köln liebt man inzwischen ihren letztlich doch sehr berlinspezifischen Humor.
Nichts läge also näher, als den Versuch zu starten, einmal richtig groß rauszukommen. Zwar konnte man im Laufe der letzten drei Jahre sämtliche Nebenjobs zugunsten der Shows aufgeben, zwar ließ man sich vor kurzem auch als Firma eintragen und richtete sich ein 50-Quadrameter-Büro am Mehringdamm ein (wo unter anderem der reichhaltige Kostümfundus inkl. rund 40 Perücken lagert). Doch der große Sprung ins Show- und Unterhaltungsbusineß steht noch aus. „Das Problem ist“, sagt Zabel“, daß die ganzen Fernsehfritzen einem da einen Autor vor die Nase setzen und sich dann wundern, daß das nicht funktioniert.“ Und daß sich die Teufelsberger in ein TV-Comedy-Format pressen ließen, ist für sie auch in der Tat nur schwer vorstellbar: Zu „schwierig und widerspenstig“ sei man wohl, zu sehr darauf bedacht, den eigenen Querkopf durchzusetzen. Zudem wolle man noch immer lieber „Spaß als Ruhm und Geld“, meint auch Drag Princess, Talkmasterin von TV Berlin und Gaststar als Starlet beim „Bimmler“, Biggy van Blond.
Aber ausgeschlossen ist nicht, daß ihnen irgendwann doch noch das große Karrierewunder widerfährt. Denn ihre Edgar-Wallace-Parodie „Croco Diabolo – Der Tod lauert in der Handtasche“ gefiel einem Produzenten so gut, daß er ein Drehbuch anregte, für das die Filmförderung Berlin-Brandenburg sogar Geld lockermachte. Nun sucht man nach Geldgebern für das 1,5-Millionen-Projekt.
Und in der Schublade liegt noch eine sechsteilige TV-Serie mit den Neuköllner Bühnen-Kultfiguren Edith und Hotte: ein Stoff, den Tom Tykwer, Ade Zabels Freund aus alten Tagen als Filmvorführer im Kreuzberger Kino Moviemento, für zu schade fürs Fernsehen hält und sich nur auf der großen Kinoleinwand vorstellen kann. Mal sehen, ob Tykwer selbst derjenige sein wird, der sich Ediths und Hottes eines schönen Tages annimmt.
„Der Bimmler von West-Bérlôen“ läuft bis 28. August, Mi. bis Sa. ab 20.30 Uhr, Kalkscheune, Johannisstr. 2, Mitte
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