: Das Freiluftkino mit dem Bastel-Charme
■ taz-Serie „Mooslos durch den Sommer'' (Teil 4): In der Lehrter Kulturfabrik steht der Vorführer mit Schraubenzieher am Projektor
Wer einmal in Tiergarten gewohnt hat, weiß, was los ist. Nämlich nichts. zumindest im Stadtteil Moabit. Übrig bleibt, sich in Penny-Fillialen glücklich zu shoppen, denn der Bezirk ist kulturelles Brachland, keine tolle Kneipe, kein Nachtleben, nirgends.
Auf die Schulter klopfenswerte Pionierarbeit geleistet haben da immerhin die Leute von der Lehrter Kulturfabrik: eine alte Heeresfleischerei klargemacht und rein mit Kino, Theater, Ateliers, Übungsräumen, Café, Club, Hauswerkstatt und Tonstudio. Seit acht Jahren kämpfen sie dagegen an, daß Moabiter zum Ausgehen erst nach Mitte oder Kreuzberg umziehen müssen.
Und auch im Sommer wird nicht nach Kuba gefahren, sondern Ehrenamtliches geleistet: Im Hinterhof zeigt das Team vom Filmrauschpalast kostenlos Kinofilme für laue Nächte.
So kann man denn auf wackeligen Gartenstühlen sitzen und wild-bunte Zeichentrickfilme aus den 70ern gucken. Nur als Vorfim, dann kommt schon ein Wiedersehn mit Pussy Galore und James Bond, während neben einem das Großstadtunkraut wuchert und irgend jemand Würstchen grillt. Die Leinwand hängt an einer alten Backsteinmauer, der Filmvorführer sagt jeden Film persönlich an. Selbstverwaltetes Projekt schüttelt der Nachbarschaft die Hand.
Weil der Projektor aus einem ausgeschlachteten NVA-Propagandawagen stammt, muß immer einer mit dem Schraubenzieher danebenstehen. Mal platzt eine Glühbirne, mal reißt der Film, aber die Zuschauer sind's gewohnt. Man brüllt was zum Vorführer, der brüllt „Kein Grund zur Panik!“ zurück, beerdigt eine neue Projektorleiche, und schon tätschelt 007 wieder einer Blondine auf den Po. Das Publikum lacht.
Der Bastel-Charme des Freilichtkinos erschließt sich indes keinesfalls nur für Stammgäste aus der Umgebung. „Wir machen Kino für die ganze Stadt“, erzählt Veranstalter Thorsten Dorow. Darum hievt er neue amerikanische Kitschfilme genauso ins Programm wie anspruchsvolle Streifen, die auch den Nouvelle-vague-Fan aus Friedrichshain anlocken. „Wir wollen keine Kreise ausklammern“, meint Dorow. „Die Leute können auch ihr Bier selbst mitbringen.“
Es sind also alle eingeladen, etwa am 3. und 4. August um 21.30 Uhr zum Sci-fi von Godard, wo Geheimagent Lemmy Caution in eine entmentschlichte computergesteuerte Stadt gerät. Der Film entläßt die Moabiter zu Penny, die anderen dürfen froh sein, jetzt alles zu kennen, was es hier im Bezirk gibt. Kirsten Küppers
Open-air-Kino kostenlos im Hinterhof der Kulturfabrik Lehrter Straße e.V., Lehrter Straße 35, Moabit, Telefon: 397 43 44.
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