Der Verräter will es noch einmal wissen

■ Jörg Hoffmann wird Fünfter über 1500 m, aber Sydney reizt ihn

Berlin (taz) - Langstreckenschwimmer sind meist Eigenbrötler. Jörg Hoffmann (29) zumindest ist so einer, der am meisten sich selbst vertraut. Das machte ihn stark in der Vergangenheit: Bei der WM in Perth pfiff ihn 1991 das australische Publikum aus - trotzdem bezwang er Lokalmatador Kieren Perkins und schwamm Weltrekord, die 1500 Meter unter 15 Minuten.

Gestern nun trat Hoffmann in Istanbul an, seinen fünften EM-Titel über die Königsdistanz zu erringen, obwohl er noch im Januar 1998 gesagt hatte: „Psychisch stehe ich das nicht mehr durch.“ Als Fünfter schlug er an, auf den Sieger Igor Snitko aus der Ukraine (15,07 min) fehlten ihm 17 Sekunden. Vermutlich hat es Hoffmann vorher gewußt, daß es nicht reichen würde. Er hat sein Trainingauf zwei Stunden pro Tag halbiert, frißt nicht mehr 80 Kilometer pro Woche. Ohne dieses Pensum aber sind die 1500 Meter nicht zu beherrschen, diese Strecke, auf der die Schwimmer nach 1100 Metern nahe am Kotzen sind, wie Hoffmann es mal formuliert hat.

Kristin Otto hat im ZDF das Rennen kommentiert; wer wollte, konnte ein wenig Schadenfreude heraushören. Im Herbst 1997 waren die beiden gemeinsam im Sport-Studio zu Gast: Hoffmann, weil er zugegeben hatte, 1988 über drei Wochen hinweg Doping-Substanzen eingenommen zu haben, die frühere DDR-Weltklasseschwimmerin Otto, weil sie allesvon sich weist. „Es streßt mich, ständig zu lügen“, hat Hoffmann damals gesagt. Die Reaktionen waren heftig: Manche Sportskameraden nannten ihn einen Verräter; andere glaubten, er verdanke den blauen Pillen alle Titel, obwohl er seine Erfolge erst nach der Wende feierte.

In Sydney will das brummelige Kraftpaket nächstes Jahr seine Karriere beenden. Für Olympia wird er sich im Training wieder schinden, denn die Australier mögen ihn nicht - es wird die rechte Herausforderung für einen wie Jörg Hoffmann. Rüdiger Barth