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Stimmen vom Stillen Örtchen

■ Porträts aus Hamburger Toiletten. Teil 3: Karl-Heinz Rilat (69) Von Hendrik Doose

„Mein erster heute“, sagt Karl-Heinz Rilat und läßt die kleine Flasche, die er eben in einem Zug geleert hat, in seine Hosentasche gleiten. Der erste Schluck aus der Dose Bier, die er gleich darauf öffnet, steigert offensichtlich sein Wohlbehagen. „Das ist wie Engelspisse“, stellt er zufrieden fest. Ein Obdachloser kommt herein, füllt seinen Plastikkanister mit frischem Wasser und verswchwindet wieder.

Draußen ist es kalt und auch die Marktleute, die am Großneumarkt ihre Stände aufgebaut haben, nutzen den Gang zum Klo, um sich ein wenig aufzuwärmen. „Der Tag zieht sich heute“, gibt die in dicke Jacken eingemummelte Gestalt einer Marktfrau von sich und verschwindet in einer der Kabinen. „Ich mach' euch eben einen“, sagt Karl-Heinz Rilat und meint Glühwein damit. „Aber nicht, wenn das so lange dauert“, tönt es aus der Kabine. „Er spuckt ja schon“, entgegnet Rilat und hantiert mit dem Wasserkocher. „Ja, das tut gut.“ Fest unschließen die Hände der Frau den Becher mit der dampfenden roten Flüssigkeit. Ein Kumpel vom Kiez schaut herein und zeigt stolz einen Brillantring, den er gerade auf einer Aktion ersteigert hat. Rilat bietet ihm ein Bier an. Natürlich gibt es einen Kurzen dazu. „Mein erster heute“, sagt Rilat, legt den Kopf zurück und setzt die kleine Flasche an die Lippen.

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