: Performance statt Referat
■ Fahid Sobat hasst Frontalunterricht / Seine Referate haben „Perfomancecharakter“: Mal baut er Fehler ein oder spielt Tonbänder ab / Das schlichte Ziel: „Wachheit“
Fahid Sobat kann sich freuen: Es sind Semesterferien – referatsfreie Zeiten. Derlei Vorträge mag der Soziologiestudent nicht besonders: Eins nach dem anderen wird da runtergerasselt. Gähnend langweilig sind sie – die abgelesenen Monologe. Und allzu häufig auch noch völlig uninteressant. „Es gibt kein wahres Interesse, den Inhalt zu vermitteln“, klagt er. Um seine KomilitonInnen aus dem Studierschlaf zu locken, macht er, Sobat, selbst eine Performance.
Dabei sieht Sobat gar nicht unbedingt nach peppigen Referaten aus – ganz ruhig spricht der Soziologiestudent. Beinahe langsam. Beim Referat aber schlüpft er in andere Rollen und verbindet trockene Theorie mit lockerem Spiel. Sein Handwerk hat er beim Theater gelernt. Statt gestelzter Rede, inszeniert er nun Rollenspiele. Diese Erfahrungen hat Sobat jetzt dokumentiert und sich für den Deutschen Studienpreis beworben.
Was Sobat statt eines Referates bietet, ist eine kleine Revolution im nüchternen Lehralltag: „Ich will die Wachheit“, fordert er von seinen KommilitonInnen. Statt eingeschliffener Vortragsrituale versucht er, Chaos in die Veranstaltungen zu bringen: Mal baut er Fehler ein, mal hält er spontan inne. Er will irritieren – das gehört zum Konzept. Nur so, sagt Sobat, kann er „inhaltlich Spuren hinterlassen“.
In einem Seminar „referierte“ er zum Beispiel über „entleerten Raum – entleerte Zeit“. Mitten im Vortrag ist Sobat plötzlich rausgegangen. Über Kassette lief sein Referat weiter. Studierende und Profs waren schlagartig hellwach: „Was passiert den hier“, fragte die Professorin verduzt. Nur ein paar Minuten war Sobat draußen – die Zeit erschien den Meisten endlos lang. Erst als das Band endete, kam Sobat wieder rein. Sagte aber kein Wort, bot keine Erklärung für sein Verschwinden. Verwunderung, Erstaunen: Was sollte das? Das war der „entleerten Raum“.
Sein Abgang aus dem Seminarraum war gut inszeniert. Mittels Kassette hatte Sobat zuvor Anrufbeantwortersprüche aufgenommen und jetzt abgespult: Man hörte, dass ein Optiker ihm mitteilte, er könne die neue Brille abholen. Dann erklang eine Frauenstimme. Sie verwies auf die „schöne Nacht gestern“ und erinnerte den Studenten an die Verabredung um elf Uhr an der Uni. Das war das Stichwort: Wie spät es sei, wollte Sobat wissen. Kurz vor elf Uhr – und der Referent eilte von dannen. Das Band hatte ihm „einen emotionalen Grund geliefert“, rauszugehen. Eine Studentin sagte später, sie wäre am liebsten hinterhergelaufen: Zu gern wollte sie sehen, ob Sobat die Frau getroffen hat.
Als der Hobby-Schauspieler wieder reinkam, war sein Hemd offen. Langsam und wortlos knöpfte er es zu, setzte sich eine andere Brille auf. Sobat wollte Assoziationen an die Sprüche vom Band wecken: „Phantasie freisetzen“.
Von Applaus bis Kritik reichte die Resonanz auf Sobats Drama. Einen Studenten traf er ein halbes Jahr später in der Kneipe – „der konnte sich noch an alles erinnern. Zweimal allerdings haben KommilitonInnen ihr Referat in der folgenden Sitzung abgesagt, erzählt Sobat. Das kann Zufall sein – oder Furcht: „Vielleicht standen die unter Druck, mit dem üblichen Stil nicht so fortfahren zu können“, überlegt er. Auch bei den Profs kamen Sobats Freiheiten nicht immer gut an: „Die fühlten sich provoziert, ihrer Sicherheit beraubt“.
Ob Sobat beim bundesweiten Deutschen Studienpreis Erfolg hat, weiß er noch nicht. Noch läuft das Jurierungsverfahren für einige dutzend Arbeiten. Im April nächsten Jahres wird es spannend. Vielleicht bewerten die Profs in der Jury Sobats Arbeit mit einer Auszeichnung. pipe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen