: „Immer schreckliches Geschrei angestimmt“
■ Die Bremer Ärztin Edith Bauer im taz-Gespräch über Chancen der Gesundheitsreform und das Versagen der eigenen Zunft – bei der Qualitätskontrolle und beim Schlichten im Verteilungskampf
Vergangene Woche demonstrierten 20 VertreterInnen der Bremer ÄrztInnenschaft sowie MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens gegen die geplante Gesundheitsreform. Sie hielten dabei das „untergehende Schiff Gesundheitswesen“ hoch und warnten vor Praxen-Schließungen und Arbeitsplatzverlust. Aber nicht alle ÄrztInnen beteiligten sich an den lautstarken Protesten oder Drohungen, die Behandlung von PatientInnen gegen Jahresende – bei erschöpftem Büdget etwa – zu reduzieren. Über die Lage der Ärzte sprach die taz mit Edith Bauer, einer in Gemeinschaftspraxis niedergelassenen Bremer Gynäkologin und Psychotherapeutin.
taz: Die Ärzte jammern über sinkende Einnahmen und schlechtere Behandlungsmöglichkeiten. Wie hoch steht Ihnen denn das Wasser?
Edith Bauer, Ärztin: Bisher habe ich davon nichts gemerkt. Es ist ja nicht die erste angedrohte Budgetierung, wir haben schon etliche überstanden. Zu unserem eigenen Erstaunen geht es uns nach den letzten Änderungen besser als je zuvor.
Sie sind Fachärztin. Liegt es daran?
Das weiß ich nicht genau. Aber ein Vorteil der letzten Budgetierung ist so eine Art Fallpauschale. Keiner hört das gerne, aber man kann das ruhig so sagen. Für uns ist das von Vorteil, da wir sehr viele Patientinnen haben, die wir oft nur einmal im Quartal oder im Jahr zur Krebsfrüherkennung sehen. Viele unserer Patientinnen sind ja weitgehend gesund. Für die, die häufiger kommen, weil sie krank sind, bekommt man nur einmal diese Pauschale, und beim zweiten Mal schon weniger. Kommen sie aber öfter, gibt es nichts mehr.
Ist das für andere Facharztgruppen ein Problem?
Bei Allgemeinärzten oder Internisten, die als Allgemeinärzte praktizieren, kann das bei einer Grippewelle schon mal problematisch sein.
Aber die Stellung der Hausärzte wird doch jetzt gestärkt. Warum gibt es trotzdem Proteste?
Das weiß ich auch nicht.
Sie sind Fachärztin – in diesem Zusammenhang taucht immer wieder das teure Ärztehopping von Facharzt zu Facharzt auf. Das soll durch die Stärkung der Hausärzte eingeschränkt werden – aber davor fürchten Sie sich auch nicht?
Nein. Es ist zwar geplant, dass alle Patienten erst mal zum Hausarzt gehen, der sie dann weiter überweist. Aber Gynäkologen und Gynakologinnen sind als einzige Fachärzte mit einer Sonderstellung davon ausgenommen. Frauen können direkt zu uns kommen. Viele Frauen haben auch nur uns.
Nach 18 Jahren Praxis bin ich aber auch schon etwas abgeklärter. Immer wurde ein schreckliches Geschrei angestimmt – und hinterher stellte sich raus, es war gar nicht so schlimm. Allerdings habe ich auch die Schulden meiner Praxis abgetragen. Für Jüngere, die sich mit einer neuen Praxis und mit vielen Schulden niedergelassen haben, kann das schon bedrohlicher sein, zumal sie sich einen Patientenstamm erarbeiten müssen, was mit dem neuen Begriff der „Mengenzuwachsbegrenzung“ auch nicht mehr so ganz einfach ist. Das heißt nämlich, dass jede Praxis auf den Umfang ihrer Leistung festgefroren wird – und auch neue Praxen nur begrenzt wachsen können. In unserer Praxis ist es dagegen so, dass wir einen Aufnahmestopp für PatientInnen haben, weil wir sonst überrannt würden.
Wenn Ärzte auf die Straße gehen, argwöhnt die Öffentlichkeit: Die haben Angst, nicht mehr soviel zu verdienen. Ist an dem Verdacht was dran?
Ja, da bin ich sicher.
Ärzte warnen vor schlechterer Behandlung. Sind Ihre PatientInnen verunsichert?
Ja. Die Patientinnen merken schon lange, dass sie bei Behandlungen oder Medikamenten zuzahlen müssen. Ganz logisch denken sie, dass es bei uns auch nicht anders sein kann.
Jetzt wurde auch darüber geschrieben, dass beispielsweise Schwangerschaftstests nicht bezahlt werden. Dabei ist das sicher keine notwendige Leistung, es sei denn ich will eine Schwangerschaft ausschließen, weil ich das diagnostisch brauche. Aber wenn eine Frau mir sagt, ich glaube ich bin schwanger, dann sage ich schön, dann warten wir mal ab. Der Test gilt als Wunschleistung, das war schon immer so.
Es wird viel kritisiert. Dabei fallen positive Gesetzes-Wirkungen offenbar „hinten runter“, die Stärkung der Selbsthilfe beispielsweise. Was erhoffen Sie sich davon?
Ich bin sehr dafür. Dazu zähle ich beispielsweise auch die Geburtsvorbereitung. Begrüßen würde ich auch eine Qualitätskontrolle. Da schreien zwar alle Zeter und Mordio, dabei ist das in allen anderen Berufsgruppen Gang und Gäbe. Ich weiß nicht, warum nicht auch bei uns.
Bei der Qualitätskontrolle der Ärzte ist vielen auch unwohl, weil diese den Kassen unterliegen soll. Teilen Sie die Bedenken gegen den Machtzuwachs der Krankenkassen nicht?
Ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, dass die Kassen uns nun kontrollieren sollen. Ich kann verstehen, dass das putschartig passiert ist, weil unsere ärztliche Selbstverwaltung hoffnungslos versagt und den Verteilungskampf unter den Ärzten nicht in den Griff gekriegt hat – obwohl sie die schwarzen Schafe im niedergelassenen Bereich kennt. Sie hat aber nie etwas gegen diese Leute getan, die uns das alles eingebrockt haben.
Wie sieht ein klassisches schwarzes Ärzte-Schaf aus?
Das sind Kollegen die in allen Leistungsbereichen weit über die Stränge schlagen – auch auf die Gefahr hin, dass sie gekürzt werden. Wenn jemand in irgend einem Leistungsbereich 50 Prozent über dem Fachgruppendurchschnitt liegt, dann hat der da heftig zugeschlagen. Wenn der dann um zehn Prozent gekürzt wurde, dann war er trotzdem noch 40 Prozent weiter als die anderen und hat also entsprechend Geld aus dem Topf abgeschöpft, der für alle da ist.
Qualitätsmanagement kann ja nicht nur ein Vorwand sein zum Sparen. Es muß doch auch um medizinische Fortschritte gehen. Was fehlt Ihnen da besonders?
Ich kann das am Beispiel der Psychosomatik verdeutlichen – ohne die man keine gute Medizin und schon gar keine gute Gynäkologie machen kann. Ich bin im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie und dort – wie auch in anderen Fachgesellschaften – werden Leitlinien entwickelt, wie man bei bestimmten Beschwerde- oder Krankheitsbildern vorgehen soll, um möglichst rationell und auch sinnvoll zu arbeiten: Sowas ist wichtig.
Der Arbeitskreis Frauen und Gesundheit (AKF) verweist bei der Debatte auf die WHO-Richtlinien von Ottawa, nach dem Frauengesundheit mehr und gesondert gefördert werden müsse. Wie sehen Sie diesen Punkt berücksichtigt?
Durch die Stärkung von Selbsthilfe und Gesundheitsförderung, beide von Frauen besonders genutzt, sind positive Ansätze im Entwurf lesbar. Jedoch – unabhängig vom Gesetzentwurf – müßte man im Bereich Forschung frauenspezifisch mehr tun. Bedenken Sie, dass in den Medikamenten-Waschzetteln Medikamente beschrieben werden, deren Wirkungen, Nebenwirkungen usw. mit der Dosierung immer am gesunden, 75 Kilogramm schweren Mann gestetet wurden, niemals an einer Frau. Sowas geht doch einfach nicht.
Gibt es noch andere positive Aspekte der Reform?
Ich wünsche mir – aber ich weiß nicht, ob ich das aus dem jetzigen Entwurf schon herauslesen kann –, dass die Zusammenarbeit von Ärzten mit anderen Fachgruppen gefördert wird. Unsere Zusammenarbeit mit Hebammen beispielsweise läuft sehr erfolgreich, weil Hebammen in der Regel von den PatientInnen anders angesprochen und genutzt werden. In unserer Praxis führen wir die Schwangerenvorsorge gleichberechtigt durch und haben ausgesprochen gute Ergebnisse: Einen Minimalanteil von Frühgeburten, das ist effektiv und im Sinn von Eltern und Kindern. Wir haben das schon veröffentlicht, aber das verpufft immer so, sowas will keiner hören.
Fragen: Eva Rhode
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