piwik no script img

Opposition in schwierigem Gelände

Gestern traf sich PLO-Chef Arafat mit der Volksfront und der Demokratischen Front in Kairo. Deren Opposition gegen Oslo schwindet. Nur die islamische Hamas steht einsam auf weiter Flur  ■   Aus Jerusalem Susanne Knaul

Anfang des Jahres sah es noch ganz anders aus. Die Palästinenser zeigten sich frustriert und zornig über die Aussetzung der Vereinbarungen von Wye. Über die Hälfte der von dem „Palästinensischen Forschungs- und Studienzentrum“ Befragten unterstützten erneut den „bewaffneten Kampf“ gegen Israel. So hoch war die Zahl seit 1994 nicht mehr. Obschon bei einer erneuten Umfrage – kurz vor den israelischen Wahlen im Mai – die Palästinenser mehrheitlich kaum einen Unterschied zwischen Benjamin Netanjahu und Ehud Barak sahen, indizieren jüngste Umfrageergebnisse eine wieder erwachte Hoffnung in der Bevölkerung im Gaza-Streifen und Westjordanland. Inzwischen würden nur noch knapp 40 Prozent militante Operationen gegen Israel gutheißen, während gleichzeitig drei Viertel der Befragten den Friedensprozess unterstützen. Gewalt und Dialog scheinen sich für einige Palästinenser nicht unbedingt auszuschließen.

Als „ungenau“ und „den Interessen der palästinensischen Behörden angepasst“, lehnt indes Scheich Achmad Jassin, geistiger Führer der Hamas im Gaza-Streifen, die Umfrageergebnisse ab. Es sei genau umgekehrt: 75 Prozent der Bevölkerung seien nicht für den Frieden, sondern dagegen. Für den querschnittsgelähmten Scheich spielte es nie eine Rolle, wer in Israel regiert.

„Die Muslime sind verpflichtet, auf Anordnung ihres Propheten, die Juden zu bekämpfen und zu töten, wo immer sie zu finden sind“, steht geschrieben unter Punkt vier der Hamas-Charta. Weil die Besatzung für die Hamas nicht an der Grenze von 1967 endet, sondern „ganz Palästina“ betrifft, kann es keine Kompromisse geben. Der Kampf wird fortgesetzt, bis das „muslimische Land, vom Jordan bis zum Mittelmeer“ von Muslimen regiert wird.

Hamas verliert nicht nur deutlich an Sympathie im Volk, sie hat zudem mit internen Krisen zu ringen, bei denen es um die Veruntreuung von Parteigeldern geht. Um die Sorgen des Scheichs perfekt zu machen, wurden jüngst Gerüchte über den geplanten Rauswurf der Hamas-Führung aus dem jordanischen Exil laut. Sowohl Hamas als auch der jordanische Nachrichtendienst beeilten sich allerdings, die Notiz der israelischen Tageszeitung Jediot Achronot vom vergangenen Mittwoch zu widerrufen. „Es handelt sich um typische israelische Lügen“, kommentierte der Hamas-Chef in Amman, Khaled Maschal.

Im Gegensatz zu den islamischen Widerstandsgruppen scheinen die linken Oppositionellen im palästinensischen Lager den Zug der Zeit nicht verpassen zu wollen. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) unter der Führung von Georg Habasch und die Demokratische Front (DFLP) von Naif Hawatmeh haben ihre Opposition gegen die Oslo-Vereinbarungen nicht aufgegeben. Doch dem Ruf Arafats nach einem „nationalen Dialog“ wollten und konnten sie sich nicht verschließen. Am Wochenende trafen sie mit der PLO-Führung in Kairo zusammen. Nicht ohne Grund: Beide Gruppen, die vorwiegend im syrischen und libanesischen Exil aktiv sind, wurden von dem neuen Wind aus Jerusalem und dessen Folgen an die Wand gedrängt. Syriens Präsident Hafez al-Assad ließ die Oppositionsgruppen unmissverständlich wissen, dass militärischer Widerstand derzeit nicht erwünscht ist. George Habasch stellte sich allerdings quer. Zwar appellierte er an die „Einigkeit im palästinensischen Volk“ und ließ durchblicken, dass ein Treffen mit der Fatah-Führung denkbar wäre, wenn Jassir Arafat „den Weg, der uns in diesen Sumpf geführt hat, überdenkt“. Ein Signal für die Kompromissbereitschaft der palästinensischen Führung könnte, so Habasch, die Rückkehr zu den alten anti-israelischen Paragraphen in der Nationalcharta sein, die im April 1996 auf Forderung der Israelis abgeändert wurden.

Das gestrige Treffen in Kairo muss dennoch als Ansatz des Umdenkens gewertet werden. Naif Hawatmeh von der Demokratischen Front war der erste palästinensische Oslo-Oppositionelle, der sogar dem israelischen Staatspräsidenten Eser Weizman die Hand schüttelte. Die beiden Männer trafen sich in einem Hotelzimmer in Amman, unmittelbar nach der Trauerfeier für den vor sechs Monaten verstorbenen König Hussein. Dieser Händedruck kam die DFLP indes teuer zu stehen. Die Partei wurde umgehend aus den Verwaltungsräten der palästinensischen Flüchtlingslager ausgeschlossen und hat seither kein Stimmrecht mehr. Dabei liegen die beiden PLO-Parteien von Hawatmeh und Habasch in ihrer Zielsetzung nicht weit auseinander. Beide Gruppen lehnen die Osloer Verträge ab, fordern den Rückzug zur Grenze von 1967, einschließlich Ost-Jerusalems, das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge sowie die Auflösung der jüdischen Siedlungen.

Selbst wenn die Volksfront es noch nicht offen ausgesprochen hat, so liegen ihre Waffen ebenso wie die der DFLP seit Jahren ungenutzt im Schrank. „Der militärische Kampf ist ein Weg, der früher richtig war, aber jeder Widerstand muss den Gegebenheiten angepasst sein“, erklärt der im libanesischen Exil lebende Soheil Natour, einer der führenden DFLP-Aktivisten. Die linken Parteien sind nicht an Programme gebunden, die Kompromisse ausschließen und unabänderlich sind, da sie „die Worte des Propheten wiedergeben“, wie im Fall der Hamas-Charta. Im Gegensatz zu den islamischen Widerstandsgruppen, die ihren Kampf nicht aufgeben können, ohne sich selbst aufzugeben, ist der Dialog Arafats mit der Volksfront und der Demokratischen Front nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Selbst die Volksfront wollte sich gestern der Einsicht nicht verweigern, dass der Friedensvertrag von Oslo inzwischen zu einer „politischen Realität“ geworden ist. Das könnte in der Tat eine brauchbare Grundlage für weitere Konsensgespräche unter den Palästinensern sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen