piwik no script img

Ellis Streitländ of Europe

■ Nach jahrelangem Gerangel um die Präsentation der Auswanderung in Bremerhaven bleibt eine Konsequenz: Bremen muss es machen / Eine Polemik

Es steht eine Kleinfamilie an Bremerhavens Weserufer. Frau und Nachwuchs schmiegen sich an den Mann und wohl auch Vater, der sie alle überragt. Mit der Hand eines ausgestreckten Arms zeigt er nach Westen. Dorthin, wo New York liegen könnte oder müsste. Dorthin, wohin jene sieben von zwanzig Millionen EuropäerInnen aufgebrochen sind, die den Kontinent zwischen 1820 und 1978 an diesem Ufer – erst ein paar Meter weiter südlich und dann etwas weiter nördlich – verlassen haben. All diese Menschen hätten etwas Würdigeres verdient als dieses kitschige Denkmal. Und etwas Würdigeres als den Streit, der seit Jahren beinahe ergebnislos um ihre Würdigung tobt.

Noch 1995 hatte die Messe Bremen GmbH hochfliegende Pläne. Bremerhaven sollte unter dem Namen „Ellis Island Europas“ – also dem Gegenstück zur Einwandererinsel im Hafen New Yorks – präsentiert werden. Ein „Internationales Museum für Auswanderung, Migration und interkulturelle Zusammenarbeit“ sollte bis zur hannoveraner Expo im Sommer 2000 fertiggestellt sein. Doch viereinhalb Jahre später ist davon nicht viel geblieben.

Mittlerweile zehn Monate vor Expo-Eröffnung am 1. Juni 2000 ist eine Präsentation nur noch als Light-Version in Sicht: Zur Weltausstellung, so kündigte der Bremerhavener Kulturdezernent Wolfgang Weiß jetzt an, wird die Schau „Aufbruch in die Fremde“ zu sehen sein. Das Historische Museum Bremerhaven, früher Morgenstern-Museum, stellt zur Expo Computerterminals mit Auswanderer-Datenbanken auf. Und ein aus 15 Bremerhavener Unternehmen bestehender Initiativkreis „Erlebniswelt Auswanderung“ plant weiter am Thema herum. Von einem „familienhistorischen Zentrum“ war kürzlich die Rede. Doch wer Konkretes wissen will, fragt nicht nur in der Urlaubszeit vergeblich. Immerhin die „Erlebniswelt Auswanderung“ – was auch immer das sein wird – könnte eine neue Heimat finden. „Mittelfristig wollen wir sie in unser Haus integrieren“, sagte der geschäftsführende Direktor des Schifffahrtsmuseums, Detlev Ellmers, gestern auf Anfrage. Wenn der neue Anbau bis zum Frühjahr bestückt ist, könnte man sich darüber Gedanken machen.

Der Teufel – oder besser Streithahn – steckt bei diesem Thema im Detail. Schon die Auswanderer-Datenbanken, die das Historische Museum vom Center for Immigration Research in Philadelphia geschenkt bekommen hat, sind umstritten. Methodische Lücken sieht Antonius Holtmann von der Forschungsstelle Niedersächsische Auswanderer in den USA, NAUSA, an der Uni Oldenburg. Vom Direktor des Historischen Museums, Alfred Kube, muss er sich daraufhin (laut „Weser-Kurier“) den Vorwurf gefallen lassen, kein Historiker zu sein. „Ich bin Historiker“, sagt darauf Holtmann, „und selbst wenn ich keiner wäre, wäre meine Kritik berechtigt.“ Ohne besonderen Grund seien in einigen Bänden Schweizer berücksichtigt worden, Österreicher aber nicht. Vor allem: „Das Problem Auswanderung ist ein europäisches Phänomen.“ Sein Fazit: „Die Listen müssen dringend ergänzt und überarbeitet werden.“

Gegenseitige Kritik, Anfeindungen und Unterstellungen sind symptomatisch. Und egal, wer mehr Recht hat und wer weniger: Die Aussicht, den an ihrer Vergangenheit interessierten US-AmerikanerInnen die „routes to the roots“ in Bremerhaven zeigen zu können, schwindet mit jedem neuen Streit mehr. Statt der US-Kundschaft das Beste vom Besten zu bieten oder wenigstens bieten zu wollen, spielen die Herren Genealogen lieber ihre Olympiade der Engstirnigkeit. „Die haben sofort zu streiten angefangen“, sagt ein Teilnehmer eines migrationsgeschichtlichen Arbeitskreises, der im Juni in Bremen tagte, und wundert sich darüber noch heute.

Dabei geht es aber nicht nur um die Datenbanken. Noch immer mischt im Auswanderungsgerangel auch die Arbeitsgemeinschaft Migrationsgeschichte (AGM) mit. Als eine Art Abspaltung vom Förderverein Deutsches Auswanderermuseum macht sich die Gruppe um Ulrich Wagner für ein Dokumentationszentrum im Columbusbahnhof stark, der als großdimensioniertes Relikt aus den Zeiten der Passagierschifffahrt pikanterweise auf stadtbremischem Gebiet steht. Ex-Hafensenator Uwe Beckmeyer (SPD) hatte zunächst Interesse sig-nalisiert, das positive Signal aber kurz vor der Bürgerschaftswahl im Juni wieder zurückgezogen. Die AGM, die vor allem mit eng bedruckten und seitenlangen Attacken gegen die Konkurrenz in Erscheinung getreten ist, wird seit Jahren von Pontius zu Pilatus geschickt.

Die Gruppe hat sich dabei offenbar als zäher erwiesen als ihre Ex-Lieblingsgegner vom Förderverein, die dem Vernehmen nach nur noch aus Tradition zu Pressekonferenzen und Arbeitskreisen des Bremerhavener Kulturdezernats eingeladen werden. AGM-Chef Wagner und AGM-Sprecher Dirk Lembeck, die nach jahrelanger Vorarbeit auch mal an die Fördertöpfe wollen, wettern: „Dass der einstige ,Suburb of New York' zur Expo nichts zu seiner historischen Rolle als größter Auswanderungshafen vorzuweisen haben wird, ist vernichtend.“

Neben der Ausstellung „Aufbruch in die Fremde“, den Computern im Historischen Museum und einem Kongress wird Bremerhaven nach jetzigem Kenntnisstand tatsächlich nicht viel zum Thema zu bieten haben. Und Vater A., der Vorstand der Kleinfamilie am Weserufer, wird stellvertretend für sieben Millionen Auswanderer weiterhin nach Westen zeigen. Bis endlich jemand aus Bremen kommt und sagt: „Scheiß auf den Bremerhaven-Proporz. Wir machen das jetzt.“ Christoph Köster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen