: Heilig scheinen
■ Das Museum als Devotionalienhandel: In Düsseldorf zeigt die Ausstellung „Heaven“, wie Kunst und Starkult sich religiös vereinen
Museen kann man mit Tempeln vergleichen, Konzertsäle und Einkaufszentren mit Kirchen, Popstars mit Göttern, Lady Diana mit einer modernen Heiligen, Linda Evangelista und Kate Moss mit Madonnenfiguren, die hysterisierte Fangemeinde einer Massenveranstaltung des Musikbusiness mit einer Gemeinde Gläubiger, den Fitness-, Schlankheits- und Schönheitskult mit den Selbstverstümmlungsritualen der christlichen Märtyrer. Dies alles kann man tun – wenn man Analogien liebt. Und so findet sich in der Düsseldorfer Ausstellung „Heaven“ ein Sammelsurium an zeitgenössischer Kunst, das durch eine wundersame Verkettung von solchen Ähnlichkeiten zusammengerückt wird.
„Heaven“ stellt vor allem die eine Frage: Inwieweit durchdringen in unserer säkularisierten Gesellschaft religiöse Erfahrungen die Kunst? Die Kunstgeschichte suchte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Erhabene, das Heilige und Sakrale immer hinter den abstrakten, monochromen Leinwänden etwa eines Barnett Newman oder Mark Rothko. Die Suche nach dem Transzendenten fand also stets jenseits des Gegenständlichen und auch jenseits des Dargestellten statt. Zwar wird im Bild darauf verwiesen, das Erhabene selber ist jedoch abwesend und verweist den Betrachter über das Bild hinaus.
Das Erhabene, so die Behauptung der Ausstellung, sei nun aber in der zeitgenössischen Kunst an die Oberfläche getreten. „Ist die Religion vom Himmel auf die Erde herabgestiegen, um in dem, was wir die Alltagskultur nennen, weiterzuwirken?“ Die Kunst, so wird letztendlich behauptet, sei selber ein religiöses Phänomen geworden. Eines davon ist auch die Ausstellung, die eine religiöse Erfahrung verspricht. Doch hat am Eröffnungsabend wirklich jemand die Ausstellung samt Dance-Party „gebrochenen Herzens“, berauscht und in religiöser Ekstase verlassen?
Als Altmeister tritt Jeff Koons mit einer Keramikskulptur Michael Jacksons in den Himmel der Banalitäten ein. Der Popstar wird in der Bearbeitung durch Koons zu einer überdimensionalen, hellhäutigen Porzellandekoration mit goldenem Haar und seinem Affen als Assistenzfigur. Ein weiterer Fanartikel Jacksons findet sich gemeinsam mit Madonnas Bustier aus dem Film „Desperately Seeking Susan“ in einem durch eine Glasscheibe vom Besucher abgetrennten Kabinett.
Pop-Memorabilia und „Grenzfälle zwischen Kunst und neoreligiösem Kitsch“, wie eine aus Lindenholz geschnitzte „Lady Diana als Madonna“ (aus dem Artstudio Demetz), finden sich in der Devotionalienabteilung der Ausstellung. Das Studio, das ansonsten religiöse Institutionen mit Sakralskulpturen beliefert, leistet, wen wundert es, einen der passendsten Beiträge zum Thema. Im heutigen Schönheitskult des perfekten Körpers sieht die Ausstellungsmacherin Doreet LeVitté Harten ein weiteres religiöses Dogma unserer Zeit, das „Schönheit mit Tugend, Fettleibigkeit mit Sünde“ gleichsetzt. Um das Thema des perfekten Körpers kreisen die Arbeiten der Künstlerinnen Inez van Lamsweerde, die einmal mehr ihre geklonten, makellosen, aseptischen Körper vorführt, und Kirsten Geisler, die ebenfalls einen durch neue Medien erschaffenen idealen Prototyp von Frau präsentiert.
Die Videoarbeit der französischen Performancekünstlerin Orlan bestätigt die These der Ausstellung: Die religiöse Infiltrierung ihrer Selbstinzenierungen wird auf dem Operationstisch anschaulich. In den gezeigten Videos dokumentiert Orlan ihre schönheitschirurgische Neuschöpfung, in der die Künstlerin das Operationsopfer ist, aber zugleich auch als Priesterin das Ritual dirigiert.
Auch die Arbeiten der russischen Künstlerin Olga Tobretuts, die in einer ihrer computerbearbeiteten Fotografien Leonardo Di Caprio zum heiligen Sebastian verklärt, fügen sich in das Ausstellungskonzept, das auf der Suche nach religiöser Erfahrung und dem Erhabenen in der Kunst freilich auch so manches präsentiert, was zwar als Kunst überzeugt, aber mit dem Thema wenig zu tun hat. So etwa Shirin Neshat mit ihrer Videoinstallation „Turbulent“, die die Rolle der Frau in der iranischen Gesellschaft thematisiert. Auch Jake und Dinos Chapman beeindrucken mit ihrem Zyklus von 83 Radierungen „Disasters of War“, zu dem sie sich von Goyas Werkzyklus „Desastres de la Guerra“ haben anregen lassen. Gänzlich beliebig wird es mit den Kleidern von Justen Ladda und Thierry Mugler, „passend für unsterbliche Götter und Göttinnen“. Zwaren sei Mode und Religion auf den ersten Blick unvereinbar, argumentiert die Kuratorin, doch die Unfruchtbarkeit der Märtyrer und Heiligen finde sich wieder in der Mode, die ebenfalls den Körper verschwinden lassen wolle, und so sei bewiesen: Die Mode ist religiös. Wer nun diesen verschlungenen Pfaden der Ausstellungsargumentation folgen will, braucht wahrhaft göttliche Inspiration. Esther Ruelfs
„Heaven“. Bis 17. 10., Kunsthalle Düsseldorf. Der Katalog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 48 DM.
Ein religiöses Dogma unserer Zeit: Schönheit wird mit Tugend, Fettleibigkeit mit Sünde gleichgesetzt
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