■ Der blamable Auftritt zeigt: Deutschlands Fußball-Funktionäre haben die weltweiten Fußball-Entwicklungen verschlafen: Eurozentristen im globalen Abseits
Machen wir mal einen kleinen Test. Sie haben zehn Sekunden Zeit, fünf überaus wichtige Fußballspieler zu nennen, die der ach so dezimierten, „zusammengewürfelten“ (DFB-Vize Mayer-Vorfelder), „nicht wettbewerbsfähigen“ (Teamchef Ribbeck) Nationalmannschaft beim Confederations Cup in Mexiko fehlten. Bierhoff, okay, ... Jeremies, gut, ... Hamann, na schön, ... und ... und ... und ...? Sehen Sie! Nowotny, Bode, Strunz, Kirsten, Babbel? Alle austauschbar. Möller, Basler, Ziege? Längst vergessen. Kahn? Der Bayern-Keeper dankt unaufhörlich dem Dschungelgott, dass er daheim bleiben durfte und Jens Lehmann an seiner Stelle die ganzen Tore kassierte. Schauen wir der Tatsache ins Auge: Die Mannschaft, die schon lange wieder zu Hause sitzt, während heute Abend im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt das Endspiel des Turniers der Erdteilchampions zwischen Brasilien und den Gastgebern über die Bühne geht, war durchaus repräsentativ für den aktuellen Stand des deutschen Fußballs.
Wenden wir uns also der zweiten Ausrede für die wenig berauschenden Leistungen beim 0:4 gegen Brasilien, 2:0 gegen Neuseeland und 0:2 gegen die USA zu: mangelnde Fitness. Diese war unbestreitbar ein wichtiger Faktor, aber es nervt, wie ausdauernd die Verantwortlichen darauf herumreiten, allen voran Erich Ribbeck, der schon nach wenigen Monaten vollendet in die Haut der beleidigten Leberwurst geschlüpft ist, die von Berti Vogts gebrauchsfertig hinterlassen wurde. Dass die deutsche Mannschaft schlecht vorbereitet war, weiß man inzwischen von Wladiwostok bis Timbuktu, und überall stellt man sich die Frage, die bei uns komischerweise niemand stellt: Warum war sie so schlecht vorbereitet? Antwort: Weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mal wieder eine wichtige Entwicklung verpasst hat.
Die Aussage von Erich Ribbeck, dass die Spiele in Mexiko bloß Vorbereitungsspiele für die EM-Qualifikation gewesen seien, wirft ein bezeichnendes Licht auf den gnadenlosen Eurozentrismus, der nach wie vor den deutschen Fußball beherrscht. Bei Weltmeisterschaften wird lautstark über all die minderbemittelten „Exoten“ lamentiert, die nur den Spielplan aufblähen, und hiesigen Vereinsvertretern steht regelmäßig der Schaum vor dem Mund, wenn sie ihre Spieler für Nationalteams aus Afrika oder Südamerika abstellen sollen. In Europa verdient der Fußball sein Geld, also muss er auch von Europa regiert werden, lautet das Credo, eine streng kapitalistische Logik, die aber dem Trend im Weltfußball zuwiderläuft.
Der nämlich geht zur Globalisierung. Je eifriger deutsche und andere europäische Funktionäre dafür kämpfen, dass der Löwenanteil des eingenommenen Geldes nach Europa fließt, dass die Machtpositionen von Europäern besetzt werden, dass alles wieder wird wie früher, desto stärker geraten die europäischen Verbände ins Abseits. Der neue Fifa-Präsident Josef Blatter, ein ausgefuchster Machtpolitiker ohne Skrupel, hat das erkannt und seinen Wahlsieg vergangenes Jahr gegen den Schweden Lennart Johansson nicht zuletzt dank des Einfluss und des Geldes seiner arabischen Verbündeten errungen. Ein wenig erinnert die Situation an die achtziger Jahre, als der DFB an den ersten beiden Europameisterschaften nicht teilnahm, bei der dritten in der Qualifikation an Albanien scheiterte und erst 1972 begriffen hatte, dass es sich um eine ernst zu nehmende und prestigeträchtige Veranstaltung handelte. Dieselbe Begriffsstutzigkeit gibt es jetzt wieder zu bewundern.
Während sich Europa noch als ewiger Nabel der Fußballwelt wähnt und am liebsten unter sich bleiben würde, haben die innovativeren Kräfte in der Fifa, in höchst eigennütziger Weise unterstützt von den stets nach neuen Märkten strebenden Sportartikelkonzernen, längst erkannt, welches Zukunftspotential der Fußball in Asien, Afrika oder auch den USA besitzt. Turniere neben der WM, an denen Vertreter aller Kontinente teilnehmen, werden außerhalb Europas als wichtige Ereignisse betrachtet, deren arrogante Verspottung als „Witzpokale“ in afrikanischen oder asiatischen Ländern gar nicht gut ankommt. In Mexiko zeigte selbst Neuseeland, dass sich die Erdteilmeister aus Übersee längst nicht mehr im Vorbeigehen abwatschen lassen. Unbeirrt halten europäische Funktionäre dennoch an ihren althergebrachten Strukturen fest, wie der jüngste bornierte Rundumschlag von Uefa-Generalsekretär Gerhard Aigner gegen interkontinentale Turniere, Weltmeisterschaften im Zweijahresrhythmus und globale Abstimmung der Terminkalender beweist.
Fußballdiplomatisch katastrophal war die Entscheidung des DFB, 1997 als Europameister nicht beim Confederations Cup in Saudi-Arabien anzutreten, kaum geschickter der Auftritt in Mexiko mit einer unvorbereiteten Mannschaft und offenkundig zur Schau getragener Geringschätzung des Turniers. Die Austragung der WM 2006 kann sich der DFB nach dieser Schmierenkomödie getrost abschminken.
„Die Reise während einer Trainingsphase war nicht gut für das Ansehen des deutschen Fußballs“, hat selbst DFB-Vize Gerhard Mayer-Vorfelder inzwischen gemerkt, der im letzten Jahr nicht zufällig in der Fifa-Exekutive dem Vertreter Maltas Platz machen musste. Die Lehren für die Zukunft sind klar. Sollte sich Deutschland noch einmal für einen ähnlichen Wettbewerb qualifizieren, müsste der nationale Terminkalender so gestaltet werden, dass eine effektive Vorbereitung möglich wäre, ähnlich wie vor EM- oder WM-Turnieren. Ein frühes Ende der Bundesligasaison, genügend Urlaub für die Spieler, dann ein mehrwöchiges Trainingslager mit allen Spitzenkräften und ausreichend Testspielen zur Selbstfindung.
Pure Utopie angesichts der Haltung der Vereine, welche die absurde Übereinkunft herbeigeführt hatten, dass jeder Verein nur maximal drei Spieler für Mexiko abstellen musste. Die Klubs sind nicht nur euro-, sondern ganz und gar selbstzentriert. Das Wohlergehen der Nationalmannschaft ist ihnen herzlich Wurscht. Niemand verkörpert die Situation besser als Franz Beckenbauer. Der wäre als Präsident von Bayern München, Vizepräsident des DFB und oberster WM-Bewerber eigentlich die ideale Figur, um die verschiedenen Interessen miteinander zu versöhnen. Doch er lässt keinen Zweifel daran, dass auch ihm die Bayern-Hemdbrust näher ist als der Rockzipfel von DFB-Chef Egidius Braun. Wenn er nicht mehr Vereinsmensch sein könne, so der Multimegasuper-Funktionär unlängst, müsse sich der DFB eben einen anderen Vizepräsidenten suchen. Deutschlands Fußball zappelt in der Zwickmühle zwischen Globalisierung und Vereinsinteressen. Der Dumme ist die Nationalmannschaft. Matti Lieske
Erich Ribbeck ist vollendet in die Haut der beleidigten Leberwurst geschlüpftDie Klubs sind nicht nur euro-, sondern ganz und gar selbstzentriert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen