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Selbst beim Kirchgang und im Auto sowieso    ■ Von Andreas Milk

Es mag die westfälische Kleinstadt, in der man lebt, noch so vor Idylle strotzen: Irgendwann zieht es einen hinaus in die weite Welt. Jahaa. Und warum eigentlich nicht mal in die Vereinigten Staaten von Amerika?

Zumal man als Deutscher in puncto Vereinigen durchaus mitreden kann. Im Übrigen: Ist hierzulande nicht seit ca. 1946 von Amerikanisierung die Rede, haben nicht besorgte Zeitgenossen gewarnt, der Hot Dog werde bei uns die Frikadelle verdrängen und der Revolver den Schäferhund – kurz: Wäre es da nicht sinnvoll, den Ursprung all dieser Einflüsse zu erkunden, dem Wesen der amerikanischen Menschen nachzuspüren? Und wenn zufällig der Grand Canyon oder New York am Wege lägen – hm, meinetwegen.

Über mein Vorhaben informiert, erwiesen sich verblüffend viele Bekannte als intime Kenner der USA. Ich erfuhr, dass der durchschnittliche Nordamerikaner zwei Schusswaffen hat und etwa doppelt so viele Sprünge in der Schüssel; beliebteste Sportart ist folgerichtig der Amoklauf, wir sehen's doch auch dauernd in der Tagesschau.

Ich hörte aus berufenen Mündern, dass Amerikaner Wege von mehr als einer Viertel Meile ausschließlich mit dem Auto zurücklegen, freilich nur, wenn kein Flugzeug bereit steht. Besonders gewöhnungsbedürftig, so hieß es weiter, sei die amerikanische Freundlichkeit. Freundlichkeit in Anführungsstrichen. Es könne passieren, dass Amerikaner einen zu sich nach Hause einlüden, damit aber lediglich ausdrücken wollten, sie fänden ihr Gegenüber immerhin in einem solchen Maße sympathisch, dass sie es nicht auf der Stelle abknallten. Muss man wissen! Ach, und: Touristen ohne Baseballkappe und 40 Pfund Übergewicht werden gar nicht erst reingelassen in die USA. Übergewicht ist drüben nämlich obligatorisch.

Dieser Tage hat sich die Deutsche Presse-Agentur der Sache angenommen. „Die Amerikaner essen und trinken, wo sie nur können“, schreibt ihr Mitarbeiter Herr Schmale – sogar beim Kirchgang. Im Auto sowieso – wenn sie nicht im Flugzeug sitzen, wie gesagt. Wer bereits jetzt „Oh, mein Gott!“ o. ä. ausruft, der möge Folgendes zur Kenntnis nehmen: Verzichten wir Deutschen allenfalls unter Androhung ewigen Hinterwäldlertums auf unsere Mark, so verzichten die Amerikaner freiwillig auf raschelndes, klimperndes Geld im Ganzen und überhaupt – sie zücken beim Haus- wie beim Brötchenkauf die Goldene Visa-Karte. Oder den Revolver, der als bargeldloses Zahlungsmittel ebenfalls anerkannt ist.

Alles in allem: Grauslich. Und Sie haben sicher schon so genannte „Wellen“ erlebt, die von Amerika regelmäßig zu uns herüber schwappen. Platsch ... – wieder und wieder geschieht das.

Drum kann der Satz „Reisen bildet“ auch lauten: „Reisen bereitet vor“. Zum Beispiel auf die vielen TV-Talkshows – hatten wir vorher längst gesehen bei denen da in den USA. Im Jahr 2000 werden wir Mahlzeiten einnehmen, die so verpackt und zubereitet sind, dass zum Verzehren eine Hand genügt. Die andere telefoniert nämlich oder zückt Visa-Karten. Dies (und manches Weitere) eröffnet uns die Deutsche Presse-Agentur. Die hätte sonst den Herrn Schmale ja auch nach Westfalen schicken können.

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