piwik no script img

Das Stilmittel ist der Kurzpass

taz testet die Liga (VI): Eine extrem viererkettige Ausrichtung und allseitiges kreatives Chaos sollen den SC Freiburg diesmal aus der Abstiegszone heraushalten  ■   Von Ulrich Fuchs

Wird Fußball gespielt?

Hören wir doch mal in eine Pressekonferenz nach einem Spiel, an dem der SC Freiburg beteiligt war. Das Wort hat der Trainer des Gegners: „Wir wussten schon vorher, dass Freiburg eine sehr spielstarke Mannschaft hat ...“ So gehts immer los, fast immer jedenfalls. Wir schließen daraus, erstens: Freiburg versucht, Fußball zu spielen. Zweitens: In der Bundesliga gilt das noch immer als bemerkenswert. Was einem zu denken geben könnte, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wie funktioniert das 3-5-2?

„Extrem viererkettig“, würde Co-Trainer Sarstedt vielleicht sagen. Nicht klassisch, sondern modern viererkettig. Sprich: Der sogenannte Libero spielt natürlich deutlich vor den Manndeckern, und die gesamte Mannschaft verschiebt Richtung Ball. Auch in der Defensive spielt man nicht auf einer Linie, sondern geht dem Gegner an den Seiten weit entgegen. Die Idee: den Ballführenden früh und in Überzahl aufzuhalten.

Beim Angriffsspiel herrscht kreatives Chaos. Außer die Spieler auf den Außenbahnen, welche die Seiten halten, darf jeder alles. Die Vorgabe: Dem Akteur mit dem Ball mindestens zwei Abspielmöglichkeiten zu eröffnen. Dominantes Stilmittel: der Kurzpass.

Wer hilft?

Die Sprachlehrerin Stefanie von Mertens. Die ausländischen Mitarbeiter müssen nicht nur das taktische System büffeln, sondern auch die deutsche Sprache. Deshalb zählt Stefanie von Mertens quasi zum erweiterten Trainerstab und manchmal leiden Georgier, Tunesier und Malier unter dem Laufprogramm des Co-Trainers nicht mehr als unter ihren Deutsch-Einheiten – um sich später auch nicht weniger am Ergebnis zu freuen. „Ohne Sprache läuft nichts“, sagt etwa Zoubaier Baya. Die ganz Neuen, die aus anderen Kulturkreisen kommen, weiht Frau von Mertens zudem in die Geheimnisse des deutschen Alltags ein. Wie löst man einen Fahrschein für die Straßenbahn, wie bedient man einen Geldautomaten und – ganz wichtig in Freiburg – wie funktioniert die Mülltrennung.

Wer stört?

Die Wir-sind-die-armen-Kirchenmäuse-Leier. Immer noch kokettiert man gern mal damit, dass die Großen so schrecklich viel Geld haben, während man selber stets am Abgrund entlang kombinieren muss. Aber wie, bitte schön, hätte man den Freiburger Fußball zu dem machen können, was er ist, wenn es nicht so wäre?

Taugt der Trainer?

Nicht mehr zu den frühen Revoluzzer-Projektionen. Der „Brilli“, der nie einer war, ist genauso verschwunden wie die legendären „Selbstgedrehten“ als weitere Insignien der Nonkonformität. Volker Finke ist inzwischen Nichtraucher, und er ist vor seinem neunten Freiburger Jahr auch der dienstälteste Trainer bei einem Bundesligaverein. Geblieben ist die Idee von einem Fußball, der – sagen wir es vorsichtig – in Deutschland noch nicht unbedingt als das Maß der Dinge gilt. Wer sie blöd findet: Gehe weiter zur Nationalelf. Gehe direkt dorthin. Gehe nicht über Leverkusen oder Stuttgart.

Taugt der Torwart?

Richard Golz ist im Kontext der jüngsten Freiburger Torhütergeschichte Baldrian für das von seinen Vorgängern manchmal arg strapazierte Nervenkostüm der Fans. Das gilt nicht nur für die klassischen Arbeitsbereiche Linie und Strafraumbeherrschung. Auch die in Freiburg geforderte Qualität mitzuspielen hat er in seinem ersten Jahr so intensiv demonstriert, wie es keiner erwartet hatte.

Was tun die Neuen?

Außer dem Heimkehrer Andreas Zeyer (31) leisten sie einen bemerkenswerten Beitrag zur weiteren Senkung des Team-Durchschnittsalters. Mit dem Schweizer Oumar Kondé (19) von den Blackburn Rovers, Florian Bruns (19) aus Oldenburg, Björn Dreyer (19) aus Norderstedt und Tobias Willi (19) von den eigenen Amateuren liegt der Schnitt nun bei unter 25 Lenzen – Platz eins in der Rookie-Wertung der Liga.

Wie schießt man Tore?

Mit „Erfahrung“, sagt Finke, nachdem die Chancenauswertung zu den Schwachpunkten der letzten Saison zählte. Und – alte Freiburger Regel – nicht mit dem Zeigefinger auf die Stürmer zeigen: Auch für den erfolgreichen Abschluss müssen in Freiburg nicht ausgewiesene Spezialisten Sorge tragen, sondern das gesamte Kollektiv. „So vier bis sechs Tore sollte sich auch jeder vornehmen, der regelmäßig im Mittelfeld zum Einsatz kommt“, findet jedenfalls der Trainer – und hofft natürlich trotzdem auf die baldige Rückkehr von Alexandre Iaschwili, der letztes Jahr bei elf Einsätzen sechsmal traf, bevor dann das Kreuzband riss.

Wer ist der Beste?

Sollen wir jetzt etwa sagen: Die Beste ist die Mannschaft? Eben. Also: Keine Wertung.

Folge: Nichts Neues im Südwesten.

Gefühlter Tabellenplatz: Acht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen