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Ein Ort für die Soap-Kritik

Den Diskursimport verankern: Zwei Reader wollen dazu beitragen, das „abseitige Wissen“ der Cultural Studies endlich auch hierzulande zu etablieren  ■   Von Andreas Hartmann

Im angloamerikanischen Raum füllt längst eigene Regale, was hierzulande immer noch als abseitiges Wissen gilt: Bücher zu Körper- und Identitätspolitik, Postkolonialdebatten zu class, race and gender, poststrukturalistische Analysen von Filmen, Comics, Soaps und Talkshows. Auch der fehlenden akademischen Tradition wegen blieben die sogenannten Cultural Studies hierzulande Randerscheinung oder außeruniversitäre Angelegenheit. Wissen über das abseitige Wissen nachzuliefen, das ist der Impetus zweier neuer Text-Kompendien. „Cultural Studies – Grundlagentexte zur Einführung“ und „Die kleinen Unterschiede – Der Cultural Studies-Reader“ verstehen sich als Beiträge zur Etablierung eines Diskursimports, der die Autoren selbst beeinflusst hat.

Grundsätzlich stehen Cultural Studies für die Idee, populärkulturelle Phänomene „ernst“ zu nehmen und sie nicht isoliert zu betrachten, sondern stets das Verhalten der Rezipienten mit einzubeziehen. Cultural Studies interessieren sich deshalb nicht so sehr für Boygroups an sich, sondern für die Aneignungspraktiken ihrer Fans. Letztere erscheinen nicht als arme Opfer einer allmächtigen Kulturmafia, sondern als kreative KonsumentInnen. Die genaue Form dieser Kreativität wollen Cultural Studies beschreiben.

Der „Grundlagentexte“-Reader versteht sich als erste „umfassende deutschsprachige Einführung“ überhaupt. Er trägt Schlüsseltexte der angloamerikanischen Pioniere zusammen, die meisten davon erstmals in deutscher Übersetzung, und konzentriert sich insbesondere auf die englische Tradition der Populärkulturfoschung, Arbeiten des Mitte der sechziger Jahre gegründeten renommierten Center for Contemporary Cultural Studies, dem CCCS. In weitestgehend chronologischer Abfolge der Aufsätze werden die verschiedenen Umbrüche des Instituts umrissen, die Entwicklung einer stark marxistisch geprägten Ausrichtung der Forschungen zu Sub- und Arbeiterkulturen bis hin zur Infragestellung vieler Ansätze durch das Hereinbrechen des Poststrukturalismus nachgezeichnet. Dass neueren Entwicklungen eher wenig Raum zugestanden wird, entspricht ganz dem Ansatz des Buches: class kam in den Blütezeiten der englischen Cultural Studies stets vor race und gender.

Die Herausgeber Roger Bromley, Udo Göttlich und Carsten Winter, im institutionellen Rahmen der Kultur- und Medienwissenschaften zu Hause, sehen Cultural Studies erst am Beginn einer universitären Karriere (als Teil der Kulturwissenschaften), was sicher zutrifft. Doch verdeckt der Blick auf die fehlende institutionelle Verankerung, wie intensiv außeruniversitär „illegitimes Wissen“ im sogenannten Popdiskurs umgeschlagen wird. Spex, Die Beute, Texte zur Kunst, SpoKK (Arbeitsgruppe für Symbolische Politik, Kultur und Kommunikation), testcard – allesamt linksintellektuelle Organe und Zusammenschlüsse, arbeiteten und arbeiten daran.

Für diesen „wilden“ Flügel der Cultural-Studies-Rezeption und als Ergänzung der „Grundlagentexte“ empfiehlt sich „Die kleinen Unterschiede“, herausgegeben von Jan Engelmann. Auch wenn der Befund wenig verblüfft: Pop ist – als Kneipengespräch, als Dissidenzzirkel – auch ohne akademischen Durchlauferhitzer allgegenwärtig, muss sich aber zunehmend fragen (und fragen lassen), ob die Macht der Kulturindustrie nicht höher, die kreative Seite des Konsums nicht geringer zu veranschlagen ist als bislang angenommen.

Der Katzenjammer, der seit einiger Zeit den Popdiskurs beherrscht, schlägt auch in „Die kleinen Unterschiede“ zu Buche: „Die Cultural Studies können vermutlich nur dort weiterhin eine gewisse Renitenz behalten, wo die Rhetorik des Think Different noch nicht als allseits goutierte Methode des Selbstmarketings im Umlauf ist. Wahrlich nicht leicht, einen solchen Ort zu finden“, klagt Engelmann in der Einleitung. Was machen, wenn die Zeichen – Semiologie ist immer noch eine heilige Kuh der Cultural Studies – tatsächlich nichts mehr bedeuten? Selbst der bekannteste einheimische Dissidenzvertreter, Diedrich Diederichsen, stellt sich in seinem letzten Buch solche Fragen, ohne Antworten zu wissen.

Dass es trotz zunehmender Skepsis – letztlich bedienen sich natürlich auch Lifestyle-Scouts genüsslich an Forschungen zu KonsumentInnenverhalten – schon weitergehen wird mit Kapitalismus, Cultural Studies und widerspenstigem Konsum, das unterstreichen „Die kleinen Unterschiede“ nochmals. Der Reader versucht weniger, eine geschichtliche Entwicklung nachzuzeichnen, er setzt auf die geglückte Form der Aufsätze einflussreicher Cultural-Studies-Vertreter wie Stuart Hall, Paul Gilroy, Simon Frith, John Fiske und Angela McRobbie, rundet sie durch Gespräche mit den jeweiligen Autoren ab und klopft einzelne Thesen auf ihre Gegenwartstauglichkeit hin ab.

Und die Moral aus alledem? Vielleicht die: Cultural Studies sollten sich weder bloß in außerakademischen Popdiskursen oder (als Soap-Kritik) auf den Medienseiten von Tageszeitungen noch in der Universität heimisch fühlen. „Heimatlose Kritik“ hat Dick Hebdige dies genannt. Die Cultural Studies waren lange Nomaden in den Ordnungen des Wissens. Bromley/Göttlich/Winter (Hg.): „Cultural Studies – Grundlagentexte zur Einführung“. Zu Klampen! 48 DM J. Engelmann (Hg.): „Die kleinen Unterschiede. Der Cultural Studies-Reader“. Campus 40 DM

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