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Hochprozentige „Nonnenflucht“

■ Beim Bierfestival auf der Karl-Marx-Allee hat die bierbrauende Gattin von Martin Luther ebenso ihr eigenes Getränk wie der „Rote Oktober“

Es gibt viele Arten sich zu betrinken. Besonders gut kann man das seit gestern entlang der Karl-Marx-Allee. Auch wenn der Namensgeber des sozialistischen Boulevards aus Trier kam, wo man bekanntermaßen Moselwein trinkt, werben dort seit gestern auf dem 3. Internationalen Bierfestival 160 Brauereien mit mehr als 1.000 Bieren aus über 60 Ländern um die Gunst der Berliner Kehlen.

Zum Fassbieranstich kam, wie schon in den vergangenen zwei Jahren mit dem Pharaonen und dem babylonischen Bier, ein eigens für das Festival kreierter Gerstensaft zu Ehren: das Katharinenbier „Nonnenflucht“. Namensgeberin ist die Ehefrau von Martin Luther, Katharina von Bora, die Anfang des 16. Jahrhundets aus einem Zisterzienserkloster bei Halle flüchtete. Dort hatte sie das Bierbrauen gelernt und später in ihrem Mann einen guten Abnehmer für ihr Gebräu gefunden. Angestochen wurde das erste Fass von einer echten Nachfahrin der Familie Luther, von Ludwiga Zerbs, die bei Torgau einen Ratskeller betreibt. Weil der aber nicht allzu viel abwirft, hat sich die 58jährige den Namen „Nonnenflucht“ schützen lassen. Gebraut hat das Bier, das nach einigen Gläsern kaum noch an Flucht denken lässt, Berlins ältester noch aktiver Braumeister, der 70jährige Herbert Schmidt, der nach eigenen Angaben ein „durchschnittlicher Biertrinker“ ist.

Während damals der Bierkonsum aus baktereologischen Gründen überlebenswichtig war – andere unbedenkliche Getränke waren kaum verfügbar –, geht es heute ausschließlich um den Genuss. Und der kennt keine Grenzen. So gibt es auf dem diesjährigen Bierfestival erstmals „Chinggis Beer“ aus der Mongolei, wo nach Angaben eines echten Mongolen am Stand erst 1924 mit dem Brauen begonnen wurde. Aus Lappland gibt es das „Lapin Kulta“ und aus Russland „Mek's Bier“. Gambrinus, einer der Schutzpatrone der Brauer, teilte gestern mit Bedauern mit, dass das mit dem chinesischen Bier nicht geklappt habe.

Für den entsprechenden kulturhistorischen Tiefgang sorgte der Schirmherr des Ganzen, der Friedrichshainer Stadtrat für Gesundheit und Soziales, Lorenz Postler (SPD). Er zitierte aus einem Verwaltungsbericht des 125 Jahre alten Friedrichshainer Krankenhauses von 1881, wonach von 209.000 Patienten 90.000 bayrisches Bier und 2.000 Weißbier verordnet bekamen. „Wenn das heute noch so wäre“, sagte der Stadtrat nach dem ersten Bier, „wäre die Belegung bestimmt höher.“

Dass Bier nicht nur gesund, sondern auch irgendwie politisch ist, zeigt sich bei der Rostocker Brauerei, die sich in blutigem Rot zum ersten Mal auf dem Bierfestival präsentiert. Unter dem Motto „Heute schon Genossen?“ wird ein Bier angeboten, das erst seit wenigen Monaten auf dem Markt ist: „Roter Oktober“. Heiko Schulze, der für den Berliner Vertrieb zuständige „Genosse“, erzählt die „Markenvita“: Gebraut werde „nach einem Geheimrezept des KGB“. Der 33-Jährige muss selber lachen, wenn er den roten Stern am Bierhimmel aufgehen lässt. Doch im Ernst: Weil der Biermarkt stagniere, soll die Jugend mit dem Oktobertrunk „ans Bier rangeholt werden“, sagt er.Und damit sich die Kunde möglichst spektakulär verbreitet, sollen demnächst „Vertriebskommissare“ auf Jeeps der Russischen Armee mit der Botschaft des „Roten Oktober“ durch die Lande fahren. Schulze ist überzeugt, dass das Bier in der Schwulenszene (“Die sind aufgeschlossen“) und in „Inläden“ gut ankommen könnte. Er muss es wissen. Denn im wahren Leben ist er Geschäftsführer der Schwulenbar „Tom's Bar“ am Nollendorfplatz.

Natürlich sei das alles „als Gag“ gedacht, erzählt er weiter. Doch Schulze weiß, was er da verkauft. Als ehemaliges SED-Mitglied und studierter Philosoph findet er es gut, „sich der Metaphern“ vom Roten Stern und Ährenkranz zu bedienen. Doch im Vergleich zu dem 4,9 Umdrehungen starken Bier soll der Genuss des roten Gesöffs „politikfrei“ sein, betont er. Bei jungen Leuten käme das Bier gut an, so seine bisherigen Erfahrungen, Ältere würden das als „Ikonenschändung“ betrachten. B. Bollwahn de Paez Casanova

3. Internationales Bierfestival zwischen Strausberger Platz und Weberwiese, Samstag 10 – 22 Uhr, Sonntag 10 – 20 Uhr

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