piwik no script img

Modernes Lesen

Neue Bücher kurz besprochen  ■ von Volker Weidermann

Glücksbeschreibung

Der Moment des vollkommenen Glücks: Hier ist er einmal aufgeschrieben. Hier hat ein großer Schriftsteller den einen langen Augenblick des Glücks unwiderruflich festgehalten: Joseph Roth in Frankreich, in Paris: „Dieser Brief darf Sie nicht glauben lassen, ich wäre verrückt geworden vor Entzücken über Frankreich und Paris“, schreibt er im Mai 1925 an den Feuilletonchef der Frankfurter Zeitung, Benno Reifenberg. Und dieser Brief ist ein einziger Hymnus an ein Land, das Roth vom Augenblick der ersten Begegnung an als seine neue Wunschheimat erkannte. Als ein Land, das ihm in allen wichtigen Punkten als das Gegenteil Deutschlands erschien: Kaum antisemitisch, europäisch, Völker verbindend und mit einer tief verwurzelten, unerschütterlichen demokratischen Tradition. Und er liebt die Franzosen: „Hier lächelt mich jeder an, alle Frauen, auch die Ältesten liebe ich bis zum Antrag, ich könnte weinen, wenn ich über die Seine-Brücken gehe, zum ersten Mal bin ich erschüttert von Häusern und Straßen ...“, liest man in dem Brief, der einer gerade erschienenen Sammlung von Frankreich-Texten Roths vorangestellt ist. Diese ungebrochene Begeisterung findet man nur hier. Für seine Feuilletons wartete er, „bis die Ekstase sich gelegt hat und dann den Untergrund bildet für das Gebäude der Beschreibung“. Und so grundiert dieses Glücksgefühl viele Texte Joseph Roths, die er in diesem Land, in dem er die meiste Zeit bis zu seinem Tod verbrachte, geschrieben hat. Bis der deutsche Faschismus auch für Frankreich immer bedrohlicher wird. Zum Schluss ist kein Glück mehr da. In einem der letzten Feuilletons Roths, in dem er den Abriss seines langjährigen Hotelzimmers schildert, ist es nur noch eine Pose, eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten: „Die Gäste lachen. Sie fordern von mir, daß ich mitlache. Warum nicht? Ich stehe auf und lache. Wer lacht denn da aus mir? An meinem Tisch wartet das sanfte, große Elend. Wart, ich lache nur ein bißchen.“ Joseph Roth: „Im Bistro nach Mitternacht“. Hg. von Katharina Ochse. KiWi 1999. 256 Seiten. 18,90 Mark.

Agentenbekenntnis

Im Film heißt es kurz: „Eine Aktennotiz, Moneypenny. Diktiert: „Sir, ich habe die Ehre, meine Kündigung und zwar mit sofortiger Wirkung entgegenzunehmen.“ Da ist er, Bond, die Gentlemanmaschine. Konsequent und entschlossen. M hatte ihn wegen Erfolglosigkeit vom „Auftrag Blofeld“ entbunden. Doch man entbindet keinen James Bond von einer unerledigten Aufgabe. Bond kündigt und wird, wenig überraschend, zurückgerufen. – Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Die Wirklichkeit steht im Buch. Im Roman Ian Flemings zum Film (“Im Dienste ihrer Majestät“) steht genau an dieser Stelle der große Bekenntnisbrief des Agenten James Bond. Es war durchaus nicht so, dass ihm der „Auftrag Blofeld“ entzogen worden war. Bond selbst wollte den Auftrag nach zwei Jahren nervtötenden Lauerns abgeben. M ließ ihn nicht. Und so schrieb der Mann der manischen Einsilbigkeit, der Agent der „verbalen Unterrepräsentanz“ (Dagmar Just) einen zweiseitigen Brief über sich selbst, über die Demütigungen und Belanglosigkeiten des Agentenalltags und über die große Langeweile. Man muss den Brief nicht, wie die Bondologin Just, mit den größten Briefen der Weltliteratur vergleichen (Tonio Kröger an Lisaweta!), um zu begreifen, dass hier ein einmaliges Dokument vorliegt, das allerdings dem guten Freund 007s auch die Schamesröte ins Gesicht treibt. „Schweig doch, James. Wie peinlich.“ Aber man liest es doch gerne. Diesen Brief, breit kommentiert, eine ausführliche Bibliografie internationaler Bond-Literatur und eine große Zahl anekdotischer und wissenschaftlicher Beiträge finden sich in dem Katalog, den Hans-Otto Hügel und Johannes v. Moltke für das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum anlässlich einer James-Bond-Ausstellung herausgegeben haben.

„James Bond. Spieler und Spion“. Hrsg. von Hügel und v. Moltke. 222 Seiten. 15 DM. Zu beziehen über das Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim. Tel.: (0 51 21) 9 36 90

Deutschland-Allergie

Nach sieben Monaten hatte Saul K. Padover genug: Mai 1945. Padover fährt, vom Konzentrationslager Buchenwald kommend, in Regensburg ein: „Die Regensburger lachten und wirkten optimistisch, genau wie die Rheinländer“, schreibt er in seinem Bericht über seine Befragungen im besetzten Deutschland. „In diesem Moment wußte ich, daß ich von Deutschland genug hatte. Sieben Monate lang hatte ich Interviews mit Deutschen geführt, und plötzlich wurde mir klar, daß ich extrem allergisch auf sie reagierte.“ Der Zivilist Padover, ein österreichischer Jude, der 1920 mit seiner Familie in die USA ausgewandert war, war im Auftrag der US-Army an vorderster Front unterwegs. Er sollte die Geistesverfassung der Deutschen am Ende des Krieges und nach Öffnung der Konzentrationslager beschreiben. Am Anfang protokolliert Padover knapp und erregungslos. Je mehr Deutsche er jedoch befragt, desto fassungsloser wird er. Ihm schlugen Ignoranz, Selbstmitleid, Unterwürfigkeit und Mangel an moralischem Bewusstsein in so geballter Form entgegen, dass sich der burschikose US-Bürger erschüttert abwendet. Immer erhält er die gleichen Antworten: Wir sind an Politik nicht interessiert, wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten, wir mussten halt in diese Partei und so weiter. Die Berichte Padovers erschienen 1946 in den USA auch als Buch. Seine Einschätzungen haben die Deutschlandpolitik der amerikanischen Militärregierung unmittelbar beeinflusst. In Deutschland war Padovers Bericht bislang nicht erschienen. – Kein Interesse an einer so eindringlichen Dokumentation der eigenen Hässlichkeit.

Saul K. Padover: „Lügendetektor. Vernehmungen im besetzten Deutschland“. Deutsch von Matthias Fienbork. Mit Fotos von Lee Miller. Eichborn 1999. 340 Seiten. 44 DM.

Unkorrekte Signatur

Es gibt diese Theorie: dass das späte Nachkriegsdeutschland die ganze „Nazischeiße“ auf „die denkbar harmlosesten Menschen ausgeleert habe: auf den bedauernswerten Philip Jenninger, auf Thomas Kapielski und den Kontrabassisten der Deutschen Oper, der in einer Tel Aviver Hotelbar eine Getränkerechnung mit Adolf Hitler unterschrieb und noch tönte: Adolf Hitler wird die Rechnung begleichen.“ Jenninger wurde längst durch Ignatz Bubis' Wiederholung der damaligen Skandalrede rehabilitiert, Thomas Kapielski, der Mann mit dem „gaskammervoll-Skandal“, hat die Theorie selber aufgestellt und der Kontrabassist von damals? Friedrich Christian Delius hat über ihn jetzt eine Erzählung geschrieben. Eine Rechtfertigungsschrift des Musikers (hier ein Posaunist), der sich in Tagebuchform auf seinen Auftritt vor Gericht vorbereitet. Delius schildert ihn als einen durchschnittlichen Mann, der sich sein Leben lang zurückgesetzt fühlte, enttäuscht und unterdrückt. Von den Frauen, vom Vater, vom Publikum. Alltagsneurosen. Und dann, eines Tages, bricht für kurze Zeit ein Damm im Inneren des Kleinbürgers. Einmal ein wirklich großer Auftritt, einmal ein Monster sein, die Inkarnation des Bösen auf der denkbar wirkungsvollsten Bühne: Adolf Hitler in Israel. Was für ein rauschender Erfolg. Für einen Moment blickt die ganze Welt empört auf den Posaunisten aus Berlin. Und wendet sich dann angewidert ab. Die Stille danach ist vollkommen. F. C. Delius hat nicht nur das Psychogramm eines durchschnittlich neurotisierten Kleinbürgers geschrieben, sondern auch ein Lehrstück über eine Gesellschaft, die in unfassbarer Einigkeit reflexartig und erbarmungslos auf harmlose Stellvertreter des eigenen schlechten Gewissens einprügelt.

Friedrich Christian Delius: „Die Flatterzunge“. Rowohlt 1999. 142 Seiten. 29,80 DM.

Die ganz große Trance

Dennis Wier war lange Jahre Systemanalytiker in der Computerbranche. Und er war ein „Trance-Junkie“. Heute leitet er das Trance-Institute (www. trance.edu) im schweizerischen Brütten und seine Trance-Sucht hat er durch eine selbst entwickelte Trance-Technologie in den Griff bekommen. In seinem (international bislang noch nicht anerkannten) Institut kann man den Titel eines Doktors der Philosophie, Fachrichtung Trance-Psychologie, erwerben und alles über Methoden der Trance-Induktion in der Werbebranche, schamanistische Musikformen, Hexerei, Arbeitssucht und solche Sachen lernen. In seinem Buch „Trance – Von der Magie zur Technologie“, das jetzt auf deutsch vorliegt, beschreibt Wier erstmals das von ihm entwickelte Trance-Modell. Sein Ziel: Ungewollte Trancen (Sucht, Nationalismus, Führerkult) erkennen und sich dagegen schützen, gewollte Trancen bewusst erzeugen, sie besser, stärker und interessanter machen und Trancen genau zu dem Zeitpunkt abbrechen zu können, an dem man man genug von ihnen hat. Man kann nicht sagen, dass man das alles nach Lektüre des Buches sofort praktizieren könnte. Es ist doch ein sehr theoretisches Modell, mit ebenso interessanten wie komplizierten Schaubildern illustriert. Doch so viel kann man schon mal sagen: Wichtig sind die „tranceerzeugenden Schleifen“ (ausgelöst durch Trommeln, Trinken oder Trällern), die die Grundlage für eine „dissoziierte Tranceebene“ bilden, die sich dann verselbstständigt. Beenden kann man die Trance einfach durch das Auswechseln eines Elementes in der Trance erzeugenden Schleife, heißt es. Aber es heißt auch, dass all das viel leichter klingt, als es ist. Schön an dem Buch ist, dass man oft sehr außergewöhnlich angesprochen wird: „Sind Sie praktizierende Hexe? Dann ...“, und dass Wier den heroischen Buch-Versuch unternommen hat, den „universellen Schleier“ zu lüften, die große Illusion, „die ziemlich groß angelegte Trance der Wirklichkeit, in der wir alle leben“.

Dennis Wier: „Trance. Von der Magie zur Technologie“. Deutsch von Daniel Dragmanli. Der Grüne Zweig 1999. 222 Seiten. 25 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen