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Massenmord auf der Modelleisenbahn

■ Der Bremer Schriftsteller Jürger Alberts ist unter die Reporter gegangen: Zusammen mit Komplizen hat er jetzt einen Bildband über Profile von Krimiautoren herausgebracht

Wie viele Leichen haben Sie auf dem Konto?“ – „Das habe ich nicht gezählt, aber zwei, drei Dutzend können das wohl sein.“ Dies ist nicht die Aussage eines Serienmörders, sondern die eines Schreibtischtäters. Genauergesagt des Krimiautors Hansjörg Martin.

Der Bremer Schriftsteller Jürgen Alberts und sein Co-Autor Frank Göhre haben solche Statements gesammelt. In ihrem Reportage-Bildband „Kreuzverhöre – zehn Krimiautoren sagen aus“ haben sie die Aussagen jetzt veröffentlicht. Neben dem am 11. März 1999 verstorbenen Hansjörg Martin entstehen im Reportagestil genaue Täterprofile von Friedhelm Werremeier, Irene Rodrian, Michael Molsner, –ky, Felix Huby, Gisbert Haefs, Sabine Deitmer, Peter Zeindler und Ingrid Noll. Sie offenbaren ihre Tatmotive, ihren Werdegang bis hin zum Massenmörder auf der Schreibmaschine. An diesen zehn AutorInnen wird gleichzeitig die Geschichte des deutschen Krimigenres deutlich. Von den Anfängen in den 60er Jahren als Fortsetzungsgeschichten im „Stern“ bis hin zu den Bestsellern unserer Tage und den dazugehörigen Kinoproduktionen. Zu jeder Epoche sind die bekanntesten Autoren verhört worden.

Die Schriftsteller offenbaren ihre Motive. Bei Friedhelm Werremeier wird deutlich, wie eng häufig sein Leben mit dem seines Protagonisten verwoben ist. Eine Charakteristik seiner Hauptfigur legt auch die Eigenschaften des Autors selbst offen. „Es gibt keinen Roman, der nicht zugleich auch ein Stück Biographie ist“, behauptet Michael Molsner. Hansjörg Martin dagegen beobachtet die Menschen seiner Umgebung: „Plötzlich denke ich, das ist eine Figur. Die kleine Figur läuft mit einem Mal los, trifft auf eine zweite Figur, bekommt eine Vergangenheit und verstrickt sich darin.“ Schon ist die Szenerie für einen weiteren Mord erfunden.

Auch Krimiautor –ky stellt seine Romanszenerie vor. Wie ein begeistertes Kind erschuf er eine Eisenbahnmodellstadt namens Bramme in seiner Garage. Hier geschehen seine Verbrechen. Nur so behalte er den Überblick. In einem Krimi muss jede Einzelheit stimmen. Ebenso spannend wie in seinen Werken unterbreitet –ky, der eigentlich Professor Horst Bosetzky ist, die Entwicklung seines Pseudonyms. Damals, Anfang der 70er, arbeitete er in einer Stabsstelle von Bürgermeister Koschnick in Bremen. Um seine SPD-Parteikarriere nicht zu gefährden, erschienen seine Morde unter falschem Namen. Doch der Erfolg seiner Soziokrimis entfachte Spekulationen über den wirklichen Autor. Walter Jens, Bundeskanzler Helmut Schmidt und der österreichische Kanzler Bruno Kreisky wurden zeitweise hinter –ky vermutet. Wie ein Mörder auf der Flucht wurde er schließlich eingekreist und musste seinen Namen preisgeben.

Auch Felix Huby musste sich ein Pseudonym zulegen. Auf Anweisung Rudolf Augsteins musste der Mordgeschichten schreibende „Spiegel“-Korrespondent seine Glaubwürdigkeit retten.

Sabine Deitmer erzählt von ihrem Leben zwischen Chanson und Existenzialismus in Frankreich. Im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen „ganz normale Frauen, die Probleme mit Männern haben“. „Die Morde geschehen schwerelos, spontan. Die Männer bekommen nur, was sie verdienen. Sie bezahlen mit dem Leben dafür, dass sie Frauen chronisch unterschätzen“, beschreibt sie ihre Verbrechen.

„Kreuzverhöre“ entführt die LeserInnen in die Gedankenwelt der Mordgeschichtenschreiber. Unterstüzt von atmosphärisch stimmungsvollen Bildern des Fotografen Rainer Griese ensteht ein Blick hinter die Kulissen. Der schaulustige Leser begibt sich an die Schauplätze der Verbrechen, an die Schreibtische und in die Häuser der Autoren. Und zugleich erlebt er die Geschichte des Krimigenres mit seinen Hoch- und Tiefpunkten. Es eröffnet sich eine umfassende Innenansicht. Als Zusatz lesen die zehn Autoren die Lieblingspassagen ihrer Bücher auf einer beigefügten CD.

Frage an Ingrid Noll: „Bereuen Sie Ihre Taten?“ – „Ich habe Skrupel, aber ich bereue nichts.“

Lukas Heiny

„Kreuzverhöre – zehn Krimiautoren sagen aus“ von Jürgen Alberts und Frank Göhre, Gerstenberg Verlag, Heidelberg 1999, 240 reich bebilderte Seiten mit beiliegender CD, 78 Mark

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