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Nicht bereit, Ungewohntes zu erfahren

betr.: „Jeder kriegt sein Fett weg“ von Barbara Dribbusch, taz.mag vom 31. 7./1. 8. 99

Der Schönheitswahn ist vielleicht, wie jede Moral, eine Form der Kapitulation, nicht etwa vor der Leistung, die einem abverlangt wird, als eher der Anstrengung, öffentlich für sich und bei sich zu stehen. Das kann ich paradoxerweise nur, wenn ich das, was mit mir und um mich herum geschieht, kritisch hinterfrage. Das Problem ist aber, dass die Mehrheit oder das, was andere über einen sagen, heute für das gehalten wird, was Meinung ist, und so komm ich schon mal gar nicht darauf, mich selbst zu definieren; ich gebe also auf.

Der allgemeine Schönheitszwang ist so auch zu einer peripheren Einstellungssache geworden, das heißt, meine Meinung bildet sich aus dem Zusammenschluss von vielen, unter denen ich dann nicht mehr (als integere Person) so auffallen muss. – Ich kann also mehr öffentlichen Mut aufbringen, gestützt durch eine sich unterwerfende Mehrheit, dadurch gerate ich jedoch in eine intern-disziplinäre Abhängigkeit, deren Regeln ich mich zu unterwerfen habe. – Beispiel: Frauen gegen Männer. Explizites Pendant dazu: die Mode.

Dieser Zwang zum „Was alle darüber sagen“ bildet sich so auch in der freien Meinungsäußerung, Mode ist also nicht nur, wie ich aussehe, sondern auch das, was ich sage, und ich bilde mir ein, nur dann werde ich wahrgenommen, wenn die Form stimmt.

Letzten Endes sind aber viele, und das ist sehr ernst, nicht mehr dazu bereit, Ungewohntes zu erfahren und erfahrbar zu machen, meist aus Frust, der einem die Utopien absaugt, aus Angst, man könnte sich verausgaben, Fehler machen, oder einfach aus dem Unvermögen heraus, selbständig und eigenverantwortlich in Möglichkeiten zu denken und damit zu spielen, um sich aus seiner (nach außen hin, wegen erschummelter Anerkennung etc.) angeeigneten Sklaverei zu befreien.

Ephraim Gierke, Berlin

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