piwik no script img

Mehr sehen beim Laufen

■ Zwischen rotem Ding und größenwahnsinniger Weltkugel

Bonn (taz) – „Bis zum roten Ding schaffe ich es noch“ – im Marathonschritt erreicht die Gruppe laufend die rote Stahlskulptur am Rhein vor dem Bonner Bundestag. Schweißflecken erscheinen auf den Hemden, die ersten der zwölf Läufer keuchen am Samstag an der vierten Station der „Jogging Führung“ durch das ehemalige Regierungsviertel in Bonn. Die Kunsthistorikerin vom Rheinischen Landesmuseum, Franziska Münks, hat die vermutlich erste „laufende“ Kunstführung in Deutschland organisiert. Jahrelang ist sie zuvor auf der beliebten Joggingstrecke am Rhein an den Kunstwerken vorbeigelaufen. „Dann bin ich auf die Idee gekommen, dass Sport und Kultur sich auch verbinden lassen“, erzählt sie. Nach einem Jahr Vorbereitung stand die Tour durch die Hinterlassenschaft der Regierungen.

Hierzu gehört auch die Skulptur „Large Two Forms“ des englischen Künstlers Henry Moore: Noch 1979 protestierten die Bonner gegen die Plastik. Jetzt wollten sie sie nicht mehr hergeben. „Der gehört uns!“, zitiert Münks die Bonner. Vor ein paar Wochen gewann die Stadt den Streit.

„Lange haben Bund und Stadt ihre Kunstobjekte aneinander vorbei in die Landschaft gesetzt“, sagt die Kunsthistorikerin und startet zu einem neuen Spurt. Der Bundestag hat die Stadt dabei mehr als einmal brüskiert. So auch, als er die große Metallkugel von Hans Dieter Bohnet, „Integration 76“, ungefragt auf eine Rheinwiese setzte. Die von einem Kubus aufgebrochene Kugel sollte ursprünglich vor das Kanzleramt. „Doch Kanzler Schmidt lehnt die seiner Meinung nach ,größenwahnsinnige Weltkugel‘ ab“, folgen die Läufer den Ausführungen und dem Trab der Historikerin rund um die sich drehende Kugel. Für Zwischenfragen fehlt den meisten inzwischen der Atem.

Viele Fragen ließen auch die Regierungen mit ihren Skulpturen unbeantwortet. Zur 1994 aufgestellten Konstruktion von Marc di Suvero, „L'Illuminée“, hieß es nachträglich in einer Publikation des Bundestages zur Erklärung: „Ein äußeres Risiko wird bewältigt, das Wagnis, Stand zu behaupten, eine Ordnung gegen die immerzu drohenden Kräfte von Zerfall und Einsturz.“ Bekannt ist die mit großen roten Metallträgern auf den Rhein hinaus zeigende Installation unter den Joggern als „rotes Ding“. Die Stadt war damals über ihre überraschende Ausstellung maßlos verärgert. Dies war Anlass für die erste gemeinsame Sitzung des Kunstbeirates des Deutschen Bundestages mit der Kunstkommission des Stadtrates.

Das Bonner Treibhausklima setzt den Läufern schwer zu. Ein vorbeifahrender Eiswagen zieht vorübergehend mehr Blicke auf sich als das nächste Kunstwerk. Doch die lauferprobte Kunsthistorikerin hat noch Luft für eine Erklärung: „Das Schöne an Skulpturen ist, dass man sie nicht einfach wegräumen kann, wenn sie einem nicht mehr in den Kram passen.“

Eine Stunde nach dem Start ist die Gruppe sechs Kilometer gerannt, hat drei Bergstrecken überwunden und neun Skulpturen gesehen. Nur der 60-jährige Johann gibt vor dem Ziel auf: „Ich brauche noch ein wenig Lauftraining.“ Martin, der die Strecke bereits vom wöchentlichen Training her kennt, meint, er habe nun seinen „Tunnelblick“ verloren. „Beim Laufen sieht man einfach mehr“, meint Clemens, der sich Blasen an die Füße gelaufen hat.

Nach der Premiere will Franziska Münks jeden ersten Sonntag im Monat zu einer gejoggten Führung durch das Bonner Regierungsviertel aufbrechen. Über Route und Treffpunkt informiert das Rheinische Landesmuseum (02 28/98 81-1 54). Vielleicht ist demnächst auch der joggende Außenminister mit dabei. Von Münks angefragt, ließ der sich jetzt von seiner Sekretärin entschuldigen: „Herr Fischer ist schon in Berlin.“

Florian Frank

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen