: Der Palme-Mord und ein vergessener Doppelgänger
■ Die schwedische Polizei „vergaß“ einen zentralen Verdächtigen im Palme-Mord, und das volle 13 Jahre lang. Sein Täterprofil ist entlarvend. Aber jetzt ist natürlich alles zu spät
Stockholm (taz) – Die Liste der Fehler, Versäumnisse und Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit zur Aufklärung des Mordes am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme nimmt offenbar kein Ende. Mehr als 13 Jahre nach dem Attentat stellt sich nun heraus, dass die Polizei einen schon bald nach dem Mord in Verdacht geratenen Mann in der weiteren Fahndungsarbeit schlicht „vergessen“ hatte. Der jetzt 53-jährige “G. H“ – so das Polizeikürzel – war nicht irgendein Verdächtiger:
Er besaß einen Revolver vom Typ der Mordwaffe und ist laut Polizeiangaben ein vortrefflicher Schütze, hat vom Äußeren und seinen Bewegungen her verblüffende Ähnlichkeit mit dem von Palmes Ehefrau als angeblichen Täter identifizierten, vom Gericht aber freigesprochenen Christer Pettersson, passt perfekt in ein vom FBI im Auftrag der schwedischen Polizei erstelltes „Täterprofil“, wohnte in der Nähe des Tatorts, hat kein Alibi für die Mordnacht und zumindest zwei mögliche Motive. Außerdem entzog er sich Vorladungen zur Polizei – was diese aber erst nach Jahren merkte und danach auch nicht weiter reagierte.
Diese neue Fahndungspanne wird von einer regierungsamtlichen Kontrollkommission zur Palme-Mord-Fahndung als „besonders bemerkenswert“ eingestuft. Das Probeschießen mit allen bekannten Exemplare des Waffentyps, mit dem die Tat erfolgte, war eine der ersten systematischen Fahndungsmaßnahmen, welche die schwedische Polizei durchführte. Hierbei war auch „G. H.“, registrierter Besitzer einer solchen „Smith & Wesson 357 Magnum“, vorgeladen worden. Auch nach einer Erinnerung erschien er nicht – und wurde vergessen. Erst 1995, neun Jahre nach dem Mord, wurde dies bemerkt. Der Verdächtige gab dann an, seinen „Magnum“ 1992 privat verkauft zu haben, ein schwererVerstoß gegen das Waffengesetz. Die Akte wurde schlicht abgelegt.
„G.H.“ wird in den Polizeiakten wegen abwertender Äußerungen über den Ministerpräsidenten als „Palme-Hasser“ bezeichnet, ein denkbares Motiv. Der arbeitslose Mann betätigte sich zum Tatzeitpunkt 1986 als Aktienspekulant. Einen Tag vor dem Attentat sackte die Stockholmer Börse an einem „schwarzen Donnerstag“ um 5,5 Prozent ab. Folge einer von der Regierung Palme an diesem Tag verkündeten empfindlichen Erhöhung der Aktienumsatzsteuer. „G.H.“ dürfte einen erheblichen Verlust seines Aktienportefeuilles erlebt haben. Der Pettersson-Doppelgänger hielt sich abends oft im Innenstadtbezirk auf, in dem Palme in der Mordnacht zusammen mit seiner Frau und ohne Leibwächter ein Kino besuchte.
Oberstaatsanwalt Jan Danielsson gibt sich deutlich verstimmt, dieses Material nie auf den Tisch bekommen zu haben: „Hier gab es Versäumnisse.“ Der Oberstaatsanwalt sieht allerdings nicht, wo man jetzt, 13 Jahre später, bei dem nach wie vor in Stockholm wohnenden Mann noch ansetzen könnte: „Ich kann mir im Moment keine sinnvollen neuen Fahndungsmaßnahmen vorstellen.“
Der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter machen die neuen Pannenenthüllungen doppelt Kopfschmerzen: „Zum einen die neuen Aufsehen erregenden Fahndungsversäumnisse. Zum anderen ein neuer persönlich schnell einzukreisender Verdächtiger, der jetzt kaum noch eine Möglichkeit hat, sich gegen die Verdächtigungen zu wehren.“ Reinhard Wolff
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