piwik no script img

Wo die Ameisenlöwen lauern

Hamburger Naturschutzgebiete, Teil 4: Wer blühendes Heidekraut sehen will, muss nicht in die Lüneburger Heide fahren. In Hamburgs Süden lockt die Fischbeker Heide  ■ Von Gernot Knödler

Norbert Mielke klopft bei den Ameisen auf den Busch. Als sie alle wie wild auf ihrem Bau herumwuseln, fährt er mit dem Handrücken in wenigen Zentimetern Höhe darü-ber weg, hält mir die Hand hin und sagt: „Riech mal!“ Saurer Gestank veräzt meine Nase. Bäh! Die Ameisen hatten versucht, sich gegen Mielkes Hand zu wehren und sie mit Säure vollgesprüht. Vögel nutzen die Angst der Ameisen, indem sie im Tiefflug über den Bau düsen und sich einnebeln lassen – das dient ihrer Entlausung.

Der Naturschutzwart Mielke kennt die Kniffe der Natur und er kennt sich aus in seinem Gebiet, der Fischbeker Heide. Er weiß, wo die Ameisenlöwen ihre Fangtrichter graben, wo die inzwischen ausgetrocknete Fischbek langfloss und was passiert, wenn die Heide nicht gepflegt wird: Sie verwandelt sich in Wald und Wiese.

Die Fischbeker Heide im äußersten Süden Hamburgs ist das teuerste der 27 Naturschutzgebiete des Stadtstaates, weil es keinesfalls reicht, zwei oder drei oder auch ein Dutzend Schafherden über das einen dreiviertel Quadratkilometer große Schutzgebiet von europäischem Rang zu treiben. Die traditionelle Heidewirtschaft lohnt sich heute nicht mehr und sie funktioniert nicht mehr, wie der Biologe Andreas Eggers vom Naturschutzamt der Umweltbehörde erläutert. Von dem mageren Borstgras, den Bäumchen und dem holzigen Heidekraut werden die Schafe für heutige Verhältnisse nicht mehr fett genug.

Die grobe Wolle der spezialisierten Heidschnucken findet wegen ihres Fetts nur noch einige wenige Abnehmer in der chemischen Industrie. Und die Schäfer sind nicht mehr so arm, dass es sich für sie lohnte, die Schafsköttel von der Heide zu sammeln und die Heide abzuplaggen: Früher zogen sie die komplette Schicht Heidekrauts von der mageren Erde, um sie als Streu zu verwenden oder zum Heizen.

Weil die Heide aber erst durch diese Aktivitäten entstanden ist und ohne sie verschwindet, muss ihr Schutz mit viel Geld bezahlt werden. Die Lüneburger Heide ist für Eggers ein warnendes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte: Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer habe irrtümlicherweise gedacht, die Lüneburger Heide sei allein durch weidende Schafe zu erhalten. Das führte zu Überdungung und dazu, dass an vielen Stellen das Gras die Oberhand gewann. Die besser gepflegte Fischbeker Heide sei deshalb heute schöner als ihre Lüneburger Schwester.

Trotzdem gibt es auch heute noch Heidschnucken in der Fischbeker Heide. Rund 300 silbergraue Tiere mit schwarzen Köpfen und Hörnern bei Männchen wie Weibchen drängen sich in dem alten Schafstall am Eingang des Schutzgebietes. Es stinkt nach dem sprichwörtlichen Schafbock.

Auch das reetgedeckte Infozentrum gegenüber war früher einmal ein Schaftstall. Dazwischen steht auf einem Rasenplatz eine große Linde, vor der neulich die erste Trauung stattgefunden hat, wie der Naturschutzwart Mielke erzählt. Er selbst wohnt mit seiner Frau in dem Häuschen dahinter. Es dient als Dienstwohnung für den Betreuer des Naturschutzgebietes.

Vom S-Bahnhof Neugraben aus fährt der 250er Bus bis auf einen halben Kilometer an das Infozentrum heran. Von der Haltestelle aus führt ein Weg immer geradeaus zunächst am Restaurant „Zum Heidekrug“ vorbei und gelangt dann zum Infozentrum. Dort gibt es auch einen Parkplatz.

Infohäuser wie in der Fischbeker Heide gibt es in Hamburg nur noch für die Naturschutzgebiete wie den Duvenstedter Brook und die Boberger Niederung. Deshalb gibt es in dem alten Fachwerkstall auch Schautafeln zum Naturschutzgebiet Heuckenlock/ Schweenssand, das ebenfalls zum europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000 gehört.

Hier gibt es Zeugnisse der Heidewirtschaft zu sehen, wie zum Beispiel Moorschuhe für Pferde: dicke Holzplatten, so groß wie eine Arbeiterhand mit gespreizten Fingern, mit einer Ledermanschette, die über die Hufe gestülpt wurden. In einem Schaukasten voller aufgespießter Insekten beeindruckt ein sechs Zentimeter langer, schwarzer Hirschkäfer mit mächtigen Zangen. Ob es ihn noch gibt in der Fischbeker Heide, vermag auch Mielke nicht zu sagen.

Eine Karte zeigt, mit wievielen Nebenarmen die Elbe früher gen Meer floss. „Hier kann man sehen, warum es in Hamburg Strumfluten gibt“, sagt Mielke. Die dunkelgrün gekennzeichneten Vordeichflächen, die dem auflaufenden Wasser Auslauf gaben, sind im Laufe der Jahrzehnte immer kleiner geworden. Ähnlich erging es der Heide: Noch 1940, zeigt eine andere Stelltafel, reichte sie als geschlossene Fläche von Neugraben bis nach Wulmstorf. Heute gibt es hier überwiegend Häuser und Wald.

Der Weg ins Schutzgebiet führt durch einen Krattwald aus mehrstämmigen Bäumen, die die Bauern immer wieder kappten und die immer wieder neu austrieben, zur „Glatze“. Von der kleinen Lichtung reicht der Blick bis zur Sietas-Werft am Este-Sperrwerk. Und hier beginnt auch Hamburgs attraktivste Rodelbahn, die wir unsicher ins Fischbek-Tal hinunter stolpern.

Noch 1911 gluckste hier ein fischreiches Flüsschen. Sein Verlauf lässt sich als buschiger Graben noch heute nachvollziehen. Er liegt mitten in einem breiten offenen Tal, mit wenigen Bäumen und Wald an seinen Rändern. Um eine einzelne Kiefer herum stehen verstreut hellgrüne Sämlinge. „Hier sieht man, was passiert, wenn man nicht entkusselt“, sagt der wettergegerbte Mielke. In wenigen Jahren würde die Heide mit Bäumen zuwachsen.

Doch die Bäume werden gefällt und ausgerissen. An verschiedenen Stellen sind die streifigen Wunden zu sehen, wo die Heide geplaggt wurde. Hier wird sich wieder Heidekraut breitmachen, und es wird zu dem Nebeneinander verschiedener Heidekrautarten kommen, das die Fischbeker Heide auszeichnet.

Vor dem Westhang des Fischbektals steht die Glo-ckenheide (Erika) mit ihren kugelförmigen lila Blüten neben Büscheln von Besenheide, neben den Heidepflanzen finden sich Krähen- und Moosbeeren, Blaubeeren und gelber englischer Ginster. „Was sagt ein Liliputaner, wenn er durch die Heide geht?“, fragt Mielke. – „Erika, lass das!“ Glocken- und Besenheide dominieren. Wegen des warmen Wetters blühen sie in diesem Jahr früher als sonst. Wer jetzt in die Fischbeker Heide geht, sieht ein lilafarbenes Blütenmeer.

Wir erklimmen den Westhang und erreichen eine Hochfläche auf der die Pisten eines Segelflugplatzes zu sehen sind. Von einer vieleckigen Sitzbank aus können müden Wanderer den Blick über die Ebene hinweg bis nach Buxtehude schweifen lassen. Fast in jeder Richtung sind dicht stehende Bäume zu sehen. „Von hier oben siehst du, warum man das Ganze auch Fischbeker Wald nennen könnte“, sagt Mielke.

Wir schlagen einen Boden über die Ebene und gelangen am Rande des Fischbektals zu einer Abbruchkante im Wald. Mielke will unbedingt beweisen, dass es hier Ameisenlöwen gibt. Er findet die Zentimeter kleinen Trichter im Sand unter deren Spitze sie auf saftige Ameisen lauern, die vom erodierenden Rand in die Falle stürzen.

Steinchen oder Fichtennadeln in die Trichter zu werfen, nützt nichts. Die kleinen Räuber lassen sich nicht foppen und bleiben im Sand versteckt.

Der Weg zurück führt auf der östlichen Talseite durch einen hohen Forst, der seine eigenen Reize hat. „Wir haben drei Spechtarten hier“, sagt Mielke stolz: den Schwarzspecht, den bekannten schwarz-weiß-roten Buntspecht und den Grünspecht, so grün, dass viele glauben, es flöge ein Papagei durch den Wald.

Zum Ausklang lockt am Weg zur Bushaltestelle das verspielte Häuschen des Heidekrugs. Große Portionen gebe es da für wenig Geld, versichert Mielke. Den nötigen Hunger dafür dürfte nach einem Spaziergang durch Wald und Heide jeder mitbringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen