Abwarten, was „der Inder“ so macht

Im mecklenburg-vorpommerschen Leussow hat eine knappe Mehrheit Subhash Jain zu ihrem Bürgermeister gekürt. Nun teilt sich die Gemeinde in stille Unterstützer und wortkarge Gegner des Inders    ■ Aus Leussow Christine Eichelmann

Wenn Subhash Jain durch sein Dorf geht, grüßt er jeden, der ihm begegnet. „Hallo, Herr Thomas, wie geht's?“ Er tippt einem Jungen, der mit einem Fussball unterm Arm die Straße herauf kommt, auf die Schulter. Für die Leute im Ort ist Subhash Jain nur „der Inder“. Und er ist ihr Bürgermeister. Seit dem 13. Juni, als er in Leussow bei der Kommunalwahl als einziger Kandidat antrat.

Leussow in Mecklenburg, ein aufgeräumtes Dorf zwischen Wiesen und Kiefernwäldern: 333 Einwohner leben hier, 104 von ihnen votierten am Wahltag für Jain – 101 gegen ihn. Am Morgen hatte Jain das Haus voller Gratulanten. Von sechs Uhr früh an klingelte das Telefon. „Alles freundliche Menschen hier. Ich habe nicht einen Tag gefühlt, fehlt etwas“, lobt Jain in noch leicht holprigem Deutsch. Im Fernsehen läuft ein indischsprachiger Sender, der Sohn spielt mit einer Eisenbahn. Jain und seine Frau Neelam haben ihn Werner genannt, „weil er in Deutschland aufwächst“.

Nur ungern lässt sich sein Vater auf eine Diskussion um den hauchdünnen Drei-Stimmen-Sieg ein. „Jeder hat eine Meinung, aber die Mehrheit hat ihre Stimme gegeben“, sagt der Macher in ihm. Der war schon mal Bürgermeister in einem Stadtteil Neu Delhis, 10.000 Einwohner. Und der Optimist Jain meint: „Das ist wie fünf Finger an der Hand. Nicht alle gleich, aber alle müssen zusammen arbeiten.“

Einer, auf den er sich dabei verlassen kann, ist Erwin Tietze. Beim ersten Mal, als der zum Gratulieren kam, hatte der fliegende Bekleidungshändler aus Indien gerade ein Modegeschäft im ehemaligen Leussower Konsum eröffnet. Damals war Tietze selbst Bürgermeister. „Herr Jain war immer zuvorkommend, ordentlich, vernünftig, strebsam und zu jedem freundlich“, erinnert sich der heutige Rentner Tietze. Zu allen Dorffesten habe er ihn eingeladen. „Und als der Inder erzählte, er wolle kandidieren, da habe ich ihm zugeredet: 'Wenn Sie etwas wissen wollen, ich helfe Ihnen.‘ “

Auch beim Pastor hatte der indische Kandidat vorgefühlt. „Vertrauen muss sein. Wenn nicht, bringt ja nichts.“ Sie sprachen über Zukunftsprojekte – einen Jugendclub, eine Leichenhalle, die sich die Gemeinde schon lange wünscht, und einen Kindergarten. „Wenn der Pastor nicht gesagt hätte, vielleicht hätte ich es nicht gemacht“, glaubt Jain, dessen Name auf die Zugehörigkeit zu einer alten indischen Religion verweist. Für den Anhänger des Jainismus ist auch der evangelische Pastor „ein heiliger Mann, der sagt nichts Falsches“.

Gar nichts sagen bisher jene, die gegen Jain stimmten. Jedenfalls öffentlich. „Die Leussower sind schweigsame Leute, die reden nicht darüber“, erklärt die Bäckersfrau. „Die warten alle erst mal ab. Wenn's schief geht, sagen die 101 'da seht ihr's‘, und die 104, die sagen 'Mist!‘ “, meint Lothar Grönert und wiegt den Kopf. Der Gemeindearbeiter hilft dem „Neuen“ schon mal, wenn dieser den richtigen Schlüssel zum Gemeindebüro nicht gleich findet. Den dicken Bund habe ihm sein Vorgänger wortlos übergeben, sagt Jain und runzelt die Stirn: „Woher soll ich wissen, welcher Schlüssel wofür? Ein bisschen Menschlichkeit muss sein.“

Jains Vorgänger Klaus-Günther Thomas ist nur noch einfacher Gemeindevertreter. Er hadert mit seinen Mitbürgern, weil keiner ein Dankeswort habe für das, was er erreicht hat. Dabei habe er neben Verbesserungen der Infrastruktur auch den Haushalt aus den Miesen ins Plus gebracht. Die Leute aber klagen, dass er nicht jeden grüße auf der Straße, kein offenes Ohr habe für sie. Für Thomas, Leussower seit 1983, steht fest, dass seine Herkunft für den Undank eine Rolle spielt. „Wenn schon ein Sachse hier Probleme hat, wie soll das dann mit einem Inder werden?“, fragt er. Und: „Fragen Sie ihn doch mal, wenn er in Indien sogar Bürgermeister war, wieso er überhaupt hergekommen ist.“

Andernorts wird nun geredet über Leussow. „Ihr habt nicht mal einen Bürgermeister, ihr müsst einen Inder nehmen“, hörte Ex-Amtsinhaber Erwin Tietze von früheren Kollegen aus der kreisweiten Verkehrsgemeinschaft. In der Bergstraße wurden Neugierige von auswärts beobachtet, die Jains Haus suchten. Eine Anwohnerin ist gar nicht froh über den Rummel. Sie hat Angst, dass die Rechten auf ihr Dorf aufmerksam werden.

Die Jugendlichen, die sich im Buswartehaus treffen, wollen zwischen rechts und links nicht trennen. „Hier halten alle zusammen“, erzählt die 14-jährige Sandy, die hofft, dass der Bürgermeister mehr für die Jugend macht. „Der ist in Ordnung, mit dem kann man reden. Bisher hat er ganz gute Ansätze“, sagt Stefan, der nach dem neuen Wahlgesetz Mecklenburg-Vorpommerns mit 16 erstmals mitstimmen durfte. Sein Kurzhaarschnitt fällt nicht weiter auf. Kurz ist in im Nordosten.

In Leussow gebe es nur wenige Radikale, meint Gastwirt Peter Jabs aus dem Lindenkrug, der zu Jains Unterstützern zählt. Einer nur, der habe mal behauptet, der Inder wolle bloß Bürgermeister werden, damit er seine Verwandtschaft nach Deutschland holen könne. „Aber der, der hat auch erzählt, nach der Wende sei das Wetter schlechter geworden.“ Schräg gegenüber streichen drei Frauen aus Nachbarorten den Zaun um die Kirche. Ihr Interesse für den indischen Bürgermeister ist begrenzt. „Die haben ihn ja gewählt, jetzt müssen sie halt mal sehen“, sagt eine von ihnen.