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„Die Kollegen sind unheimlich wütend“

■ Überall schimpfen Gewerkschaftsleute über die Politik von Schröders SPD

Berlin (taz) – „Die Enttäuschung unter den Kollegen ist groß“, sagt Otto König, Chef der IG-Metall-Verwaltungsstelle Hattingen. Die Hattinger Metaller blicken auf eine kämpferische Vergangenheit zurück: In den 80er Jahren wurde die kleine Stadt im Ruhrgebiet durch harte Auseinandersetzungen bekannt, als die Henrichshütte fast vollständig dichtgemacht wurde. Gerade hier hatte man Hoffnungen auf die Bundesregierung gesetzt. Zwar habe Kanzler Gerhard Schröder zu Beginn seiner Amtszeit einige Versprechen eingehalten, berichtet König. Aber nun scheine es „vorbei zu sein mit einer anderen Politik“.

Gute Ansätze wie die gesetzliche Wiedereinführung der vollen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall würden nun durch die Spar- und Rentenpolitik zunichte gemacht. „Wenn Kohl das gemacht hätte, wäre unser Aufschrei viel größer gewesen“, beschreibt der Gewerkschafter die anfängliche Zurückhaltung

Das ist nun wohl vorbei. Den Anfang machte einer, von dem man das nicht erwartet hätte: Harald Schartau. Der IG-Metall-Chef von Nordrhein-Westfalen ist eigentlich für eine ruhige, pragmatische Politik bekannt. Diese Woche sprach er erstmals davon, „unsere Mitglieder zu Massenprotesten gegen die rot-grüne Sparpolitik auf die Straßen zu holen“.

Ganz so weit ist es aber noch nicht. „Eine konkrete Debatte über Protestaktionen führen wir im Moment nicht“, erklärt Gewerkschafter König aus Hattingen. Aber auch die SPD müsse mit Druck rechnen. Zumal die traditionelle Bindung zwischen Gewerkschaften und SPD bei den Gewerkschaftsmitgliedern nicht mehr so ausgeprägt sei wie bei den Funktionären.

Auch der Vizechef der IG-Metall-Verwaltungsstelle Stuttgart, Hans Baur, berichtet von einem „diffusen Unmut“ an der Basis. Die Stuttgarter Metaller sind gut organisiert und gelten als sehr streikbereit. Baur ärgert vor allem die Forderung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD), dass sich die Arbeitnehmer in kommenden Tarifverhandlungen mit Nullrunden begnügen sollten: „Damit wird das SPD-Versprechen nach mehr sozialer Gerechtigkeit in der Politik nicht eingelöst.“ Konkrete Protestaktionen seien „durchaus machbar“, droht Baur. Den Gewerkschaften war unter anderem eine Idee von Ex-Kanzleramtsminister Bodo Hombach ein Dorn im Auge: Die soganannte Benchmarking-Arbeitsgemeinschaft beim „Bündnis für Arbeit“ hatte vorgeschlagen, Niedriglohn-Arbeitsplätze staatlich zu subventionieren. Die Gewerkschaften fürchteten, dass damit ein breiter Billiglohn-Sektor auf dem Arbeitsmarkt etabliert würde. Diese Vorschläge seien aber mittlerweile vom Tisch, heißt es intern unter Gewerkschaftern.

Unzufrieden sind die Arbeitnehmervertreter auch mit der Steuerpolitik. „Wenn man sich die Debatte um die Vermögenssteuer anschaut, kriegt man schon den Eindruck, dass denen da oben wieder nichts genommen wird“, sagt Undine Zachlaut, Sekretärin bei der Thüringer Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Die Kolleginnen an den Kassen verstünden zudem nicht die „Doppelzüngigkeit“ der SPD beim Thema Ladenschluss. Immer mehr sozialdemokratische Politiker würden sich hier auf die Seite der Deregulierer stellen. „Wenn es an den Sonntag geht, kriegen wir auch gegen Rot-Grün viele Leute auf die Straße.“

Auch Jürgen Hinze, Sekretär bei der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in Frankfurt am Main, kann es nicht erwarten, auf die Straße zu gehen. „Die Kollegen sind unheimlich wütend“, meinte er unmittelbar im Anschluß an eine Betriebsversammlung in einer Molkerei. Notwendig sei nicht nur eine Öko-, sondern auch eine Gewinnsteuer. Dafür brauche es „Bewegung von unten“ und einen „Marsch auf Berlin“. Vor diesem Herbst werde daraus aber nichts. Und auf den großen Organisator muss Jürgen Hinze auch noch ein bisschen warten. „Wenn Oskar Lafontaine den Marsch auf Berlin anführt, kommen alle mit.“ Richard Rother

Bei Kohl hätten alle viel lauter aufgeschrien, sagt ein Gewerkschaftsmann. Nun hat die Zurückhaltung ein Ende.

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