Albaner gegen die Serben

Im Kosovo sind alte, kranke und hilflose Serben der Rache albanischer Banden ausgesetzt. Der gesellschaftliche Druck gegenüber kritischen Stimmen ist groß  ■   Aus Prizren Erich Rathfelder

Erst beginnt es mit Drohanrufen. „Sie sagen: Zieh aus deiner Wohnung aus, dann passiert dir nichts.“ Dann kommt das Klopfen an der Tür. Wer dann immer noch nicht seine Sachen packt und geht, muss mit Schlimmerem rechnen. Die noch im Kosovo verbliebenen Serben stehen unter großem Druck. Sie sind der Rache der albanischen Bevölkerung ausgeliefert. Trotz aller Bekundungen der KFOR-Truppen, sie zu schützen, gelingt dies selten – die Mittel dazu reichen oftmals nicht aus. Es sind Geschichten des Gruselns, der Unmenschlichkeit, der Rachsucht und der Gier, die in diesen Tagen aus dem Kosovo erzählt werden müssen.

In der ehemaligen Serbenhochburg Kosovo-Polje bei Prishtina trauen sich noch einige der hiergebliebenen Serben auf die Straße. So Jovan D., der seinen vollen Namen nicht nennen will. Der alte Mann besitzt ein kleines Geschäft, er ist gerade dabei, es zu öffnen. Einige Würste liegen im Kühlschrank, im Regal sind Obstsäfte aus Serbien zu sehen, deren Verfallsdaten längst überschritten sind. Jovan D. verkauft nichts mehr. Denn die meisten Nachbarn sind längst nach Serbien geflohen.

„Hier kann ich nicht mehr bleiben“, seufzt er und schaut auf die britischen Warrior-Panzer, die vor der orthodoxen Kirche des Ortes stehen. „Die KFOR-Truppen können mir nicht helfen“, jede Nacht erhalte er Drohanrufe. Er ist in dem Haus seiner Familie geblieben, er wollte es beschützen. Söhne und Töchter sind mit ihren Familien längst in Serbien. Dass seine Söhne in den serbischen Streitkräften gedient haben, verschweigt er nicht. „Doch was sollten wir kleinen Leute schon tun.“

Jetzt sitzt er vor den Trümmern seines Lebens, das sich seit 72 Jahren in dem Umkreis dieses mit etwas mehr als 5.000 Einwohnern kleinen Ortes abgespielt hat. Die staubige Hauptstraße führt vorbei an Häusern, die von Blumen- und Gemüsegärten umgeben sind. Die Obstbäume tragen reiche Früchte. Ob sie jedoch dieses Jahr abgeerntet und zu dem berühmten Schnaps der Region verarbeitet werden können, bezweifelt ein Nachbar, ein 45-jähriger Mann, der gerade seinen Garten wässert. Es wird das letzte Mal sein. In wenigen Tagen wird er zusammen mit Frau und Kindern das Land verlassen.

Niemand weiß, wie viele Serben noch in Kosovo-Polje leben. Einige hundert vielleicht. In Prishtina, wo nach serbischen Angaben zuletzt 40.000 Serben wohnten, sind es nach Schätzungen der internationalen Organisationen vielleicht noch 1.000 bis 2.000. vor allem alte Leute. Dort, wo mehrere serbische Familien in einem Haus zusammenleben, fühlen sie sich sicherer. KFOR-Soldaten und neuerdings internationale Polizisten verbringen Nächte in diesen Häusern, um Übergriffe der albanischen Banden zu verhindern.

Rache? Organisierter Raub? Wie ist es zu erklären, dass der 95-jährige Cedomir Barberogic zusammen mit seiner fast gleich alten Frau am letzten Sonntag in Prizren ermordet wurde? Was sind das für Menschen, die in die Wohnung eines Ehepaares eindringen und die alten Leute mit Messern umbringen? Warum wurde einer Blinden, hilflosen alten Frau das Messer an die Gurgel gesetzt? Ja, sie hat die Wohnung verlassen. Sie ist in die orthodoxe Klosterschule geflüchtet.

Die Leute, die jetzt in ihrer Wohnung sitzen, öffnen nicht. Vielleicht schämen sie sich. Die albanische Gesellschaft, die noch vor kurzem selbst das Opfer einer unmenschlichen Politik gewesen ist, zögert nicht, die letzten Reste der serbischen Gesellschaft aus dem Kosovo zu verbannen.

„Wie abscheulich, klein und engstirnig ist diese Rache“, sagt ein Redakteur einer kosovo-albanischen Tageszeitung. Er schämt sich. Er traut sich aber nicht, öffentlich zu seinen Gefühlen zu stehen. Zu schnell würde er unter den Albanern als „Serbenfreund“ abgestempelt. Der gesellschaftliche Druck ist groß, die klammheimliche oder sogar offen gezeigte Freude über das Abbrennen serbischer Häuser wendet sich in aggressiver Form gegen jene, die dem Treiben kritisch und ablehnend gegenüberstehen. Die Kriminellen genössen gesellschaftlichen Schutz, solange sie ihren Raub als gegen Serben gerichtete patriotische Tat ausgeben. „Alle diese Dinge sind ja nicht von oben angeordnet, das kommt von unten, vom Boden der Gesellschaft“, sagt resignierend dieser Redakteur. Und die albanischen Intellektuellen schwiegen öffentlich dazu.

Auch einer der letzten Mönche des orthodoxen Klosters in Prizren hat geschwiegen, damals, als Miloševic mit der nationalistischen Kampagne begonnen hat. „Vor zehn Jahren konnten wir doch hier ganz normal zusammenleben.“ Er habe es zu spät gemerkt, zu welchen Konsequenzen diese Politik führen würde. Der Mönch zögert, auch er will seinen Namen nicht nennen, er fürchtet Sanktionen von beiden Seiten. Er kümmert sich um die 250 meist alten Leute, die in die Klosterschule geflüchtet sind. „Viele Serben haben große Verbrechen begangen. Aber die Mörder waren die ersten, die das Kosovo verlassen haben. Dann gingen alle jene, die Angst vor Rache hatten. Wer geblieben ist, zählt zu den unbescholtenen, hilflosen und kranken Menschen.“

„Was können wir schon tun“, sagt achselzuckend Pressesprecher Generalleutnant Michaelis von den deutschen KFOR-Truppen. Die KFOR schütze die Kirchen und Klöster, sie versuche durch ihre Präsenz die Verbrechen zu verhindern. Manchmal würden die Täter auf frischer Tat geschnappt, „meistens kommen wir aber zu spät“.

Die internationalen Truppen hatten kein Konzept für die Zeit nach dem Einmarsch, ist der Eindruck, der sich dem Beobachter aufdrängt. Was nützt schon ein Panzer auf der Straße, wenn im achten Stock eines Hauses die Wohnung eines alten Ehepaares aufgebrochen wird? Die geballte militärische Macht allein konnte die Morde und anderen Verbrechen, die zur Vertreibung der serbischen Minderheit geführt haben, nicht verhindern. Die jetzt eingesetzten und in das Kosovo einrückenden internationalen Polizeitruppen kommen zu spät. Die meisten Serben haben das Kosovo bereits verlassen.

„All diese Dinge sind ja nicht von oben angeordnet, das kommt von unten, vom Boden der Gesellschaft“