piwik no script img

Das Geheimnis der alten Schinken

■ Die Alte Nationalgalerie in Berlin wird umgebaut. Deshalb hat sie jetzt 60 Meisterwerke quasi als „crème de la crème“ an die Kunsthalle ausgeliehen

Auf den ersten Blick wirkt sie wie einer dieser kulturwirtschaftlichen Superlative. „Von Caspar David Friedrich bis Manet – Meisterwerke der Nationalgalerie Berlin“ heißt die neue Ausstellung in der Bremer Kunsthalle und macht unbesehen den Eindruck, eine dieser massenwirksamen Schauen ohne besonderen Erkenntnisgewinn zu sein. Was soll das, kann man sich fragen, 60 „alte Schinken“ aus der ständigen Sammlung der Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel in Bremen zu zeigen? Doch bei näherem Hinsehen erzählen ebendiese „alten Schinken“ eine Geschichte, die aus Dunkeldeutschland in helle, sommerlich-leichte französische Gefilde führt und die schließlich sogar beantwortet, warum inzwischen auch in diesem Land Menschen mit einem Lächeln auf den Lippen bei Rot über die Ampel gehen.

„Der deutschen Kunst“ lautet die Giebelinschrift der 1876 auf der Museumsinsel eröffneten Galerie. Sie ist auf das Jahr der Reichsgründung 1871 zurückdatiert. Doch genauso wie Deutschland damals von Preußen dominiert wurde, herrschten in den Jahrzehnten bis zur Wende zum 20. Jahrhundert konservativ-preußische Akademiker über Pflege und Ausbau der Sammlung. Deutsche oder preußische Kunst waren Genre- und Landschaftsbilder, Historienmalerei, Schlachtengemälde und freilich Portraits vom Hofe der Hohenzollern. Erst mit der Berufung Hugo von Tschudis zum Direktor der Nationalgalerie sollte sich das ab 1896 grundlegend ändern.

Von Tschudi erkannte die kommende Bedeutung der französischen Impressionisten und war darin seelenverwandt mit seinem um 15 Jahre jüngeren Direktorenkollegen an der Bremer Kunsthalle, Gustav Pauli. Wie Pauli öffnete von Tschudi sein Haus für internationale Kunst, und wie Pauli zog von Tschudi den Ärger der Akademiemaler und Deutschtümler auf sich. Doch im Gegensatz zum Bremer hatte es der Berliner Museumsmann mit Wilhelm II. höchstpersönlich zu tun. Der stockkonservative Kaiser bestand schließlich darauf, jeden Ankauf selbst zu genehmigen. Nach den Erinnerungen des Kritikers Julius Meier-Graefe soll Wilhelm II. sich immer wieder mokiert, aber dann doch eingewilligt haben.

Die jetzt in Bremen gezeigte Auswahl ist nach Ansicht von Bernhard Maaz, Kustos an der Nationalgalerie, die „crème de la crème“ der Sammlung. Weil das Gebäude der Alten Nationalgalerie saniert wird und es noch heute besondere Verbindungen zwischen Bremer und Berliner Museumsleuten gibt (vgl. Kasten „Berlin-Connection“), hat die Nationalgalerie „ihre liebsten Kinder“ auf die Reise zur einzigen Tourneestation namens Kunsthalle Bremen geschickt. Während eine Ausstellung unter dem Titel „Manet bis van Gogh“ vor knapp drei Jahren auf der Museumsinsel den Streit um die deutsche Kunst und die Impressionisten in der zwölfjährigen Amtszeit von Tschudis dokumentierte, setzt die Bremer Auswahl früher an. „Von Caspar David Friedrich bis Manet“ spannt einen kunst- und zeitgeschichtlichen Bogen von der Französischen Revolution bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Angefangen bei Schadows berühmter Goethebüste oder Caspar David Friedrichs ebenso berühmtem Bild des Greifswalder Hafens führt der Rundgang durch nahezu sämtliche Strömungen der (deutschen) Kunst des 19. Jahrhunderts. Er endet mit der durch Künstler wie Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt mit vorangetriebenen Internationalisierung, also der Öffnung nach Frankreich. Von Tschudis seinerzeit umstrittene, teils in Lagerräume verbannte, teils nur im dritten Galeriegeschoss ausgestellte Ankäufe der Impressionisten aus dem befeindeten Nachbarland hängen in Bremen als eine späte Verbeugung im Zentrum.

Lässt man sich durch die Bremer Kuratorin Ortrud Westheider durch die Ausstellung führen, erfährt man, was die Herren Künstler damals umtrieb. Der Abschied von der möglichst genauen Naturwiedergabe und die Hinwendung zu bewusst eingesetzten malerischen Mitteln gehört dazu. Außerdem machten Italienreisen Eindruck, neue Techniken und Formate wie die Ölskizze wurden marktgängig, und ohnehin verschwand der Typ Hofkünstler zugunsten des selbständig um Aufträge bemühten Malers, der mehr und mehr auch um des Einfalls und des Bildes willen zu arbeiten begann.

Der Weg vom symbolschwangeren Romantiker Caspar David Friedrich führt zum Italienreisenden Carl Blechen hin zu Adolph Menzel, der mehrere Widersprüche in sich vereinigt. In bewusst kontrastreicher Hängung sind die düstere „Atelierwand“ (1852), das „Flötenkonzert Friedrichs des Großen“ (1850/52) und das genauso berühmte „Balkonzimmer“ (1845) nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Der Maler am Hofe wird daheim zu einem Künstler, der das Malerische, Private, Subjektive entdeckt. Hängung und Architektur des Kunsthallenanbaus decken zahllose dieser Bezüge, Widersprüche, Gleichzeitigkeiten im Ungleichzeitigen auf.

Insgesamt überraschend ist, wie seltsam friedlich die Welt des 19. Jahrhunderts sich in dieser Auswahl spiegelt. Von Industrialisierung und Verstädterung ist hier mit Ausnahme von Menzels Hinterhöfen kaum eine Spur. Allenfalls im Gegenteil, der berühmten Flucht der bürgerlichen Maler aufs Land, schimmert etwas davon durch. Darin unterscheiden sich die Deutschen übrigens nicht von den französischen Impressionisten. Die bescherten der Nationalgalerie und somit leihweise auch der Kunsthalle aber immerhin Bilder wie Manets in Deutschland als unsittlich geltenden „Wintergarten“ oder Claude Monets damals als grell auffallenden und noch heute buchstäblich danach riechenden „Sommer“. Wie provozierend leicht und unbeschwert das vor 90 Jahren gewirkt haben muss, ist noch immer zu ahnen. Man kann sich jedenfalls betrinken an diesen Bildern, nachdem all der deutsche Ballast abgeworfen ist, und anschließend einen nicht mehr ganz nüchternen Gang über eine rote Ampel wagen.

Christoph Köster

Bis zum 24. Oktober in der Kunsthalle; Führungen: Samstags um 15 und dienstags um 18 Uhr – dabei werden auch die zahlreichen Parallelen zur Bremer Sammlung erläutert; Katalog 34 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen