: Die Strafe für strategische Totalinkompetenz
■ Jeden Freitag: Im Eckhaus mit Selterstrinker General Krautauch
Jeden Freitag dasselbe. „Jetzt werdet ihr rasiert!“, dröhnt der knapp zwei Meter hohe Mann in Mechanikermontur über Tische und verdutzte Gäste des Frankfurt-Bornheimer Lokals Eckhaus hinweg. Die Bedienungen verharren ehrerbietig. Die Zapfer knallen die Hacken zusammen.
Herr Winnat und ich sind Krautauchs Kompagnons. Einmal pro Woche ist es uns erlaubt, mit dem eindrucksvoll bebarteten Stadtteil-Saddam altdeutsch Skat zu dreschen. „So, Friends, es geht los.“ Er schnauft, mustert noch mal den Raum und winkt kurz, was bedeutet, der Geräuschpegel dürfe wieder „auf ein erträgliches Maß“ steigen. Dann wischen seine pfannkuchengroßen Pranken prüfend die Platte. „Restfeuchte – da kann ich die nagelneuen Karten gleich in die Öltonne kloppen.“ Bei Tageslicht dirigiert Krautauch eine Kfz-Kaschemme. Die Kundschaft hält er in jahrelanger sittenloser Abhängigkeit. Neuerdings verteilt er Visitenkarten, Text: „Ganzheitliche Kraftwagenhermeneutik – Klassische Fahrzeuge – Support Automobilforschung“.
Ein Mann von Weltstatur, der Bär von Bornheim. Er kommt viel rum. Nächste Woche kläre er „nahe Essen“ gewisse „Deals, dann rollt der Schotter. Vorwärts, du gibst!“
Ich gebe. General Krautauch ordert „Löhnburg Selters, wie immer“ und erörtert, lauernd luchsend die pechschwarzen Augen rollend, wann es „Selters“ und wann es „Mineralwasser“ heiße, er, „studierter Chemiker“, wisse sehr wohl, dass „HzweiSOvier ein Nichtmetalloxid plus Wasser ist, und das ergibt eine Säure, die in solchen Geschossen drin is', die ich in den sechziger Jahren aus den Weilburger Stollen geklaut und rund um den hiesigen Bahnhof verscherbelt hab, hat sich schon mal jemand totgemischt!“
Ich komme immer gern. Die inneren Verhältnisse in unserer Truppe sind stabil. Um halb zwölf ist Herr Winnat betrunken und haut einen wahnsinnigen Stiefel nach dem anderen herunter. „Haha“, grölt Gruppenführer Krautauch, „hastu wieder mal 'ne Granate in den Keller geboxt, wenn ich die kleine Anmerkung machen darf, du Riesendepp!“
Die nächste Runde reißt der Belobigte aus purem Trotz an sich. Krautauch saugt Selters, parliert über bulgarisches Hühnchenragout, beäugt den gefallenen Trumpf und wiehert: „Kleine Overashing – le grand Bube!“ Winnat verliert jede Selbstachtung und das Spiel. „Ihr könnt mich am Arsch lecken!“ Schriftwart Krautauch malt die Miesen auf den Block und fragt: „Mit oder ohne rasieren? Apropos, die Kontokontrolle übernehm heute ich.“ Wir nicken.
Wenig später ist es soweit, uns den Sechszylinder-Vectra auseinanderzulegen, „fünfzig!“ zu fauchen und mich, den bei acht „Großen“ praktisch voll siegfähigen, gleichwohl zitternd zagenden Mitreizenden, durch den scheppernd ans Personal gerichteten Ruf „Was hört mein trauerndes Auge?“ matt zu setzen. „Ich sage nur: Kursker Bogen, nie den Motor abstellen“, beschließt Krautauch seinen Etappensieg, „meinen, harr, Sieg in der Etappe!“
Bisweilen hat Krautauch richtig Laune und intoniert ein Lied „from old days“. „Ich will keine Schokolade, ich geh lieber zum Friseur“. Herr Winnat und ich lachen, um das Schlimmste zu verhindern – nämlich zur Strafe für „skattechnische Rebellion und strategische Totalinkompetenz, du Saftarsch!“, die nächste Stunde geben zu müssen. Anschließend entfernt der Skatboss Seltersflecken – „Was ist das denn hier? Wie ich das leiden kann!“ – und erlässt, sollten wir gültige Karten vorweisen können, den Befehl, wir mögen uns „ins Schienbein ficken!“ Schiebt man Krautauch, gegen eins, vorsichtig den Stapel rüber, poltert er seltersbeseelt: „Was, ich gebe schon wieder? Nie! Könnt ihr volles Rohr vergessen. Winnat, weiter!“
„So was soll man auch mal machen, ich war ja gefährdet“, beendet Krautauch den letzten Bock im Ramsch. Auf der Straße verabschiedet der fidele Feldmarschall seine zermürbten Gesellen. „Hab ich euch Pfeifen schön barbiert. Und bombardiert. Bye.“
Bis zur nächsten Rasur. Spiel ist Spaß an der Kraft durch Freud. Jürgen Roth
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen