: Ehrlicher Tribun von der Saar
Reinhard Klimmt, widerspenstiger SPD-Spitzenkandidat in Lafontaines Landen, baut auf eine eingeschworene Gemeinschaft seiner „Saarland-Partei“ ■ Aus Saarbrücken Heike Haarhoff
Sechs Jahre war Marlies Krämer aus Sulzbach bei Saarbrücken ohne Personalausweis, ohne Reisepass, „ohne staatliche Legitimation“, wie sie sagt. Sie verzichtete lieber auf Reisen als auf die Endsilbe „-in“ hinter „Inhaber“ im Personalausweis, die ihr die Behörden im Saarland beharrlich verweigerten. Immerhin, der Bundestag verhalf ihr zu einem Personalausweis, „in dem jetzt nicht mehr steht, dass ich ein Mann bin“ – auf den Pass wartet sie bis heute. „Macht nix, ich wehre mich weiter“, sagt sie mit der Zuversicht einer, die häufig den längeren Atem hat. Krämer wehrt sich nicht nur gegen die sprachliche Diskriminierung durch die Verwaltung. Nicht nur gegen Hotels, „die keine Energiesparbirnen benutzen“. Auch wider „das Unrecht gegen den Reinhard“.
Reinhard? Unser Gewissen!
Reinhard Klimmt ist SPD-Ministerpräsident des Saarlands und derzeit im Clinch mit zahlreichen Genossen außerhalb des kleinsten Bundeslands. Unrecht geschieht ihm aus seiner und ihrer, Krämers, eigenen Partei, der SPD. Der ist Marlies Krämer, 61, Friedenstaube im Ohr, Antiatomkraftwappen vor der Brust, vor 17 Jahren beigetreten, „an dem Tag, als in Bonn die sozialliberale Koalition platzte und ich dachte, es geht auch um Grundsätze, und jetzt brauchen die Sozialdemokraten wirklich meine Unterstützung“. Sie überlegt. „So wie heute der Reinhard.“
Denn Klimmt hat widersprochen. Hat bemängelt, dass die deutschen und britischen Regierungschefs Schröder und Blair in ihrem Papier um einen künftigen Kurs der Sozialdemokratie „die falsche Analyse unserer bisherigen Politik“ gezogen hätten. Hat mehr „soziale Gerechtigkeit“ und die Neuauflage der Vermögenssteuer gefordert. Und droht nun unermüdlich, dass er im Bundesrat das geplante Rentenmodell der Bundesregierung platzen lassen wird, „weil das nicht dem entspricht, was sie vor der Bundestagswahl versprochen haben“.
Es war, findet Marlies Krämer, „höchste Zeit, dass sich einer einmischt“. Deswegen, sagt sie, „stehen wir hinter ihm, dem Reinhard, unserem sozialen Gewissen“. Zusammen mit Jürgen Haas, 37, der wie Krämer im sozialdemokratischen Ortsverein Altenwald-Schnappach organisiert ist, und Günter Meyer, 75, vom Ortsverein Saarbrücken-Eschberg berät sie an diesem Abend in einer Saarbrücker Kneipe über neue Flugblätter, Plakate, Unterstützerbriefe für Klimmt.
„Es geht um die Tradition unserer Partei“, schimpft Meyer. „Wir im Saarland sind nicht linker als anderswo“, sagt Haas, „es geht um Grundwerte.“ Es geht um Wahlkampf.
Ausgerechnet wenige Wochen bevor die Saarländer bei der Landtagswahl am 5. September „meiner Vertragsverlängerung“ (Klimmt) zustimmen sollen, haben prominente Bundes- und Landespolitiker mit ihrer Debatte um Renten, Steuern und Sparen ihm die Umfrageergebnisse vermiest. Mit ihrem „neoliberalen Gequatsche“, sagt Marlies Krämer, haben sie dafür gesorgt, dass die Sozis, die seit 1985 das hochverschuldete Eine-Millionen-Einwohner-Land in Alleinherrschaft regieren, die Wahlprognosen dieser Tage so missmutig zur Kenntnis nehmen wie Diabetiker ihre Insulinwerte nach einem Zuckerschock. Drei Prozentpunkte liegt die Partei von CDU-Herausforderer Peter Müller derzeit vor der „Saarland-Partei“. So nennt sich die SPD im Südwesten mittlerweile in Abgrenzung zu den Bundesgenossen.
Es wird wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Den Grünen, die 1994 noch 5,5 Prozent holten, droht der Abschied vom Landtag; der FDP und anderen kleinen Parteien wird ohnehin keine Chance eingeräumt.
Genau das könnte Klimmt zum Erfolg verhelfen: Mit seiner Gewerkschaftstreue und den seit Jahrzehnten währenden Plädoyers für „die Einbindung der Schwachen in die Gesellschaft“ ist er der beliebteste Politiker in einem strukturschwachen Land, das vom Reichtum anderer Bundesländer abhängt, in dem bald jeder Neunte keine Arbeit hat und „auch nur eine kriegt, wenn er Beziehungen zur SPD hat“. So beklagt einer, der nicht in der Partei ist, die im Saarland den bundesweit höchsten Organisationsgrad aufweist.
Kohle? Energie der Zukunft!
„Es ist eine widerliche Heuchelei, zu behaupten, unser Ministerpräsident hätte nur wegen der Wahl in die bundespolitische Diskussion eingegriffen“, Günter Meyer klingt persönlich beleidigt. Denn Klimmt, dieser äußerlich eher unscheinbare Mann, steht im Ruf, ein redlicher Politiker zu sein. Als „der Oskar“, Klimmts Amtsvorgänger Lafontaine, noch in Saarbrücken regierte, sei es Klimmt gewesen, der sich „auch an Feiertagen“ zu streikenden Betrieben und demonstrierenden Arbeitnehmern aufmachte.
Der ehemalige SPD-Fraktionschef sei bloß der verärgerte Handlanger Lafontaines, werfen Kritiker Klimmt vor. Einer, der die Zeichen der Zeit auch nicht erkannt hat. Der im heute zu verabschiedenden Programm der SPD Saarland in bewährter Versorgermentalität eine Garantie auf Ausbildung und Beschäftigung für Jugendliche unter 20 Jahren festschreibt.
„Der Oskar“, urteilt derweil Marlies Krämer, „hatte mehr Charisma.“ Und Klimmt? „Der ist glaubwürdig, bodenständig“, weiter kommt sie nicht, denn Günter Meyer und Jürgen Haas fallen ihr beide gleichzeitig ins Wort, „anständig“, „zuverlässig“, „ein solider Basisarbeiter“, „einer von uns“ – sie versuchen, einander zu überbieten –, „garantiert keiner, der so'n Kaschmirkram wie der Schröder machen würde“.
Es erfordert tatsächlich Fantasie, sich den saarländischen Regierungschef in solchem Gewand vorzustellen. Ihn. Der so aussieht, als würde er am liebsten fröhlich mitpfeifen, als Zighunderte Gewerkschafter ihn in Saarbrücken mit dem „Steigerlied“ begrüßen, um die „Initiative Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Reinhard Klimmt“ zu gründen. Als Klimmt später zur Dankesrede anhebt, hört er sich an wie ein Ausgesperrter mit Megafon vor dem geschlossenen Werkstor. „Die Steinkohle ist die Energie der Zukunft“, ruft er da in den Saal. Und kurz darauf: „In der Kfz-Industrie im Saarland arbeiten mittlerweile 40.000 Beschäftigte.“ Jubel. „Die SPD ist auf der Überholspur.“ Für einen solchen Werbeslogan müsse man sich „heutzutage“ wirklich nicht mehr schämen, finden die Menschen, die Klimmts Wahlkampf managen. „Das Saarland ist halt ein Autofahrerland.“
Später, die Veranstaltung ist vorbei, wird der Ton versöhnlich. „Der Strukturwandel“, sagt Klimmt, „ist doch in der Industrie längst in vollem Gange. Aber wir wollen ihn ohne Bruch.“
Da sitzt kein aufrührerischer Klassenkämpfer, der die Regierenden in Berlin aufmischen will. Reinhard Klimmt geht es um Grundüberzeugungen, die zu verteidigen ihm wichtig sind, im Zweifel wichtiger als die innerparteiliche Harmonie. „Gesellschaftlicher Reichtum, der nicht gering ist, muss auch gerecht verteilt werden“, das ist sein Bekenntnis. „Nach der Wahl ist vor der Wahl“ ein anderes. Nur: War es nötig, das Bestürzen darüber, dass diese Werte offenbar immer weniger auf SPD-Regierungslinie liegen, öffentlichkeitswirksam und in harschem Ton kund zu tun? Macht man so was unter Freunden? Die Antwort kommt ehrlich erstaunt: „Solche verbalen Feldzüge sind doch üblich.“
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