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Potente Pedaleure

■ Im Dunstkreis der Dopinggerüchte: Wie ein Mann, der gar nicht mitradelte, die 4. HEW-Cyclassics dominieren konnte. Das deutsche Team Telekom hatte ansonsten wenig zu bestellen

Das Team Telekom hatte es nicht einfach beim Heimspiel in Hamburg. Während die Top-Stars der ausländischen Mannschaften vor dem Start zu den 4. HEW-Cyclassics weitgehend unbehelligt trainieren und regenerieren konnten, durfte bei den Rad-Profis mit dem T auf der Brust selbst die zweite Reihe nicht ruhen. Sponsor- und Fan-Bedürfnisse wollten befriedigt werden, da mussten auch die Wesemanns und Hundertmarcks auf die Show-Bühne. Jörg Jacksche wurde gar noch in der letzten Stunde vor Rennbeginn zum PR-Dienst im T-Online-Truck abkommandiert.

Die Journaille suchte derweil nach Themen im Dunstkreis und wurde ausgerechnet beim Thema „Familienplanung“ fündig. Jan Ullrich, der nun nicht mehr „Hamburger“ genannt werden darf, weil er kürzlich seinen Hauptwohnsitz auch offiziell nach Merdingen verlegte, hat „in den nächsten zwei Jahren“ noch keine Ambitionen; schließlich wolle er Zeit für den Nachwuchs haben, sollte der erstmal da sein. Die kann sich Steffen Wesemann wohl nehmen, wenn er zum Saisonende Papa wird.

Tja, und dann ist da noch der „Fall Henn“. „Was für ein Fall Henn?“, blaffte Telekom-Pressesprecher Matthias Schumann auf der Pressekonferenz am Vorabend des Rennens zurück und verwies auf „ein schwebendes Verfahren“. Verfahren ist die Situation in der Tat für den 35-jährigen Heidelberger, der zu einem natürlichen Potenzmittel griff. Jetzt ist die Frau schwanger, dafür sind seine Testosteron-Werte in dopingverdächtige Höhen geschnellt. Selbst bei Erik Zabel, sonst nie um eine Portion Mutterwitz verlegen, fiel beim unliebsamen Thema die Klappe. Natürlich werde im Team über Henn diskutiert, grantelte er auf Nachfrage, aber „was geht Sie das an?“

Zabel passte es ohnehin nicht, dass er von den Medien in die Favoritenrolle gepusht wurde, nachdem Jan Ullrich zwar seinen „Einsturz vom Kopf her“ (O-Ton Ullrich) nach dem Tour-De-France-Aus bewältigt hatte, für Hamburg aber nur ein „Muss durchzufahren“ in Aussicht stellte. Das Rennen ähnelte dann zunächst verblüffend vielen Etappen der diesjährigen Tour-De-France – inklusive zweier Massenstürze zu Beginn, die jedoch folgenlos blieben. Das Feld bummelte und ließ einen Ausreißer ziehen, den Neuprofi Mark Tuwe Madsen, Platz 1325 der Weltrangliste. Der Däne machte sich am Elbufer bei km 59 davon und lag auch noch über zwei Stunden später auf der anderen Elbseite vorn, als der Waseberg erstmals in Sicht kam.

Doch dann sorgte das Feld für Tempo und schluckte Madsen kurz nach der ersten Durchfahrt der Mönckebergstraße. Danach gab es viele Attacken, mehrere Stürze und lange durchaus die Chance auf einen Massensprint, die Erik Zabel nur „bei 20 Prozent“ geortet hatte. Doch etwa 10 Kilometer vor dem Ziel setzte sich dann doch noch eine gut besetzte Ausreißergruppe ab, aus der wiederum Mirko Celestino bei der 1000-Meter-Marke erfolgreich die Flucht nach vorn antrat. Der 25-jährige Italiener in Diensten des Polti-Teams (Staubsauger), der bisher als größten Erfolg 1997 einen 6. Platz beim Frühjahrs-Klassiker Mailand-San Remo verbuchen konnte, gewann sein erstes Weltcup-Rennen und schob sich damit gleich unter die Top 15 der Weltcup-Wertung. Zabel? Gewann „nur“ den Sprint des Hauptfeldes und wurde Neunter. Es war halt kein leichtes Heimspiel für die Telekom-Männer. Jörg Feyer

Ergebnisse „Jedermann“-Rennen: 160 Kilometer/Herren: Thorsten Wiedenroth; Damen: Tina Hinrichs; 105 km/Herren: Lutz Schröder; Damen: Susanne Irmer; 60 km/Herren: George Wolters; Damen: Wiebke Jürgens

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