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„Das ist wie eine Drehtür“

Seit 25 Jahren bietet die „Cognac-Ranch“ Betrunkenen ihre Hilfe an  ■ Von Anja Stenzel

Elfie hat seit zwanzig Jahren ihre Matte in der Hamburger Zentral-ambulanz für betrunkene hilflose Personen – kurz ZAB genannt. Jeden Abend kommt die 66-jährige Obdachlose mehr oder weniger betrunken hierher und legt sich im Frauensaal schlafen. Elfie ist eine von mehr als 120.000 Menschen, die seit 1974 Hilfe in der ZAB gefunden haben: Heute wird Hamburgs „Cognac-Ranch“ 25 Jahre alt.

Aus der Taufe gehoben wurde die Ambulanz 1974, nachdem zuvor vier Menschen in kurzer Folge in den Ausnüch-terungszellen der Hamburger Polizei gestorben waren. In dieser bundesweit einzigartigen Ambulanz kontrollieren Pfleger und ÄrztInnen jede halbe Stunde Blutdruck und Atmung. In Notfällen entscheidet der Arzt ad hoc, ob PatientInnen in eine Klinik gebracht werden müssen.

In dem Schlafraum, zu dem die gebeugte Elfie schlurft, liegen vier weitere Gummimatten. Der Raum ist mit Plastikscheiben und PVC-Boden ausgestattet. Frischluft strömt durch ein Gitter. Toilette und Dusche haben keine Türen, zwei Kameras an den Decken überwachen den Saal. „Elfie ist wegen ihrer Säuferkarriere geistig und körperlich geschädigt, wir duschen sie alle zwei Tage und geben ihr frische Kleidung“, sagt der leitende Krankenpfleger der ZAB, Herbert Nitsch.

Innerhalb von 24 Stunden kommen durchschnittlich 15 bis 18 stark Betrunkene in die ZAB. Zuvor wurden sie meist vom Feuerwehr-Rettungsdienst oder der Polizei aufgegriffen. 19 Plätze gibts in den vier Einzelzellen und den beiden Schlafsälen der „Cognac-Ranch“. „Wir sind die klassenlo-seste Einrichtung, die es gibt“, beschreibt Nitsch sein Klientel. Der Akademiker liegt auf der Matte neben dem Arbeiter, der Hausbesitzer neben dem Obdachlosen. Die Hälfte seien aber tatsächlich Alkoholiker. „Erst wenn die Betroffenen einen sicheren Gang haben und wissen, wer sie sind, dürfen sie wieder gehen“, erklärt Nitsch das „Entlassungsprinzip“.

Da Betrunkene nicht sehr einsichtig sind, haben die schweren Türen mit Sichtfenstern nur Griffe von außen. So manch Betrunkener ist recht aggressiv, wenn er in die ZAB gebracht wird. Auch ein 48-jähriger Obdachloser wehrt sich an diesem Abend und tritt um sich. Die Pfleger bringen den Mann in eine Einzelzelle, legen ihn auf die Matte und ziehen ihm Gürtel und Schuhe aus. Einer spricht beruhigend auf den Betrunkenen ein, doch der hat offensichtlich Angst. Anästhesie-Ärztin Edda Amiri muss mit ihrem Gesundheitscheck warten.

Amiri ist eine von 1500 ÄrztInnen aus den acht Hamburger Kliniken, die zum Landesbetrieb-Krankenhäuser gehören. All diese 1500 ÄrztInnen müssen mindestens einmal im Jahr in der ZAB arbeiten. Im Gegensatz zu anderen ÄrztInnen hat sie keine Berührungsängste. Manchmal übernimmt sie sogar deren Schichten. „Viele meiner Kollegen wollen hier nicht arbeiten, weil sie das Milieu und die Geruchsbelästigung nicht ertragen“, erzählt sie. Es sei auch für sie erschütternd, wohin Alkohol Menschen bringen kann.

Trotz ständiger Beobachtung über Monitore und halbstündiger Betreuung sind in der ZAB in 25 Jahren 13 Menschen gestorben. „Ursache waren Herz- und Leberschäden oder ein Mix aus Tabletten und Alkohol“, erklärt Nitsch. Die Gerichtsmedizin habe der ZAB in jedem Fall fehlerfreies Verhalten bescheinigt.

Die Mischung aus Hilflosigkeit und Krankheit ist auch für das Team schwer zu verkraften. „Man darf seine Menschlichkeit nicht verlieren, obwohl viele stinken und aggressiv sind“, sagt der Medizinstudent Roy Tustas, der seit zweieinhalb Jahren in der „Cognac Ranch“ arbeitet. Pfleger Peter Fleige – seit 1992 in der ZAB – ist es zu wenig, dass den Betrunkenen nur ein Dach über dem Kopf geboten wird. „Das ist doch wie eine Drehtür: die Leute kommen betrunken rein und gehen nüchtern raus“, kritisiert er, „und das geht immer so weiter.“

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