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„Den Dieb erstmal freundlich schieben“

Training für FilialleiterInnen lehrt, wie Ladendiebe zu erkennen sind  ■ Von Heike Dierbach

„Und das sind unsere Klau-Kabinen“. Kristina Mehring weist auf zwei Rechtecke in der oberen Ecke des Planes: „Die sind immer zuerst voll.“ Auf einem Flip-Chart hat die Filialleiterin von Ludwig Beck ihr Geschäft am Hauptbahnhof skizziert. Die übrigen SeminarteilnehmerInnen geben Anregungen: In den Ecken könnten Spiegel Einsicht schaffen. Und wie wäre es mit einem Monitor über dem Eingang, der den KundInnen signalisiert, dass sie gefilmt werden? Acht Filial- und SicherheitsleiterInnen des Hamburger Handels nahmen gestern an einem eintägigen „Business Security Training“ der Münchner Firma „11 Freunde“ teil.

Es geht um ein Delikt – manche betrachten es auch als Sport – , bei dem sogar Landtagsabgeordnete schon erwischt wurden und das jährlich in der Bundesrepublik einen Schaden von fast 100 Millionen Mark anrichten soll: Der Ladendiebstahl. Hamburg lag 1997 mit 1500 gemeldeten Fällen pro 100.000 EinwohnerInnen auf Platz zwei der Statistik, knapp hinter Bremen. Kein Wunder, daß unter anderem Hennes & Mauritz, Görtz und Wormland ihre Führungskräfte zur Schulung ins Novotel-Hotel in Bahrenfeld geschickt haben.

Doch bevor die beiden Trainer verraten, wie man einen Dieb geschickt überwältigt, müssen die TeilnehmerInnen definieren, was genau einen Diebstahl ausmacht. „Wenn jemand die Ware so einsteckt, dass ich sie nicht mehr sehen kann“, vermutet Angelika Giese von H & M. Richtig. Ein potentieller Dieb ist jedeR, weiß Trainer Jürgen Schmid: „Deshalb liegt die Gefahr genau darin, daß Sie bei den Gutgekleideten nicht aufpassen.“ Aber auf dem Stundenplan stehen heute nicht nur Kundendiebstähle: 40 Prozent der Ware, die bei der Inventur fehlt, haben MitarbeiterInnen und LieferantInnen mitgehen lassen, schätzen Experten. Selbst Security-Personal ist schon erwischt worden, erklärt Trainer Alfred Fuchsgruber. Die TeilnehmerInnen nicken wissend.

Besonderen Wert legen die beiden Münchner darauf, dass sich die Hälfte aller Diebstähle verhindern lassen – etwa dadurch, dass der Verkäufer den Kunden anspricht. Klaut aber jemand dennoch etwas, so Schmid, solle man sich nicht davon beeinflussen lassen, dass derjenige einem vielleicht leid tut: „Auch Kinder sollten Sie immer festnehmen.“ Von Polizei-Schnellverfahren hält er aber nichts.

Das Recht zur Festnahme hat ein Verkäufer nur bei einem begründeten Verdacht, etwa, wenn er den Diebstahl selbst beobachtet hat. Wie man gekonnt „festnimmt“, proben die TeilnehmerInnen jetzt im Rollenspiel. Eine Filialleiterin kichert unsicher. „Sie sind der Chef der Situation“, ermuntert Fuchsgruber. Friedrike Frey von der Buchhandlung Phönix & Montana kann es schon perfekt: Freundlich, aber bestimmt spricht sie den „Dieb“ an, als er sich ziert, schiebt sie ihn sanft in Richtung „Büro“.

„Ich habe viele Aha-Effekte gehabt“, resümiert Mehring das Training. Auch Frey ist zufrieden mit den „vielen Anregungen“. Eine letzte Chance haben Langfinger übrigens auch noch und gerade gegen die „Diebstahl-SpezialistInnen“: Reißt sich ein Verdächtiger los, gibt Schmid den KursteilnehmerInnen mit, dann solle man ihn aus Gründen der eigenen Sicherheit laufen lassen.

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