: „Die Telefonleitungen glühen“
Nach dem Tod des Zentralratspräsidenten der Juden, Ignatz Bubis, werden erste Namen für die Nachfolge gehandelt, darunter Andreas Nachama aus Berlin ■ Von Philipp Gessler
Die siebentägige Trauerzeit dauert noch an, und es sind Ferien, aber die Diskussion ist schon entbrannt: Wer wird Nachfolger oder Nachfolgerin des am Freitag verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis? Teils offen, teils hinter vorgehaltener Hand werden Namen genannt, Chancen eingeschätzt, Forderungen gestellt – vor allem in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Sie hat ein gehöriges Wort mitzureden, da keine andere Gemeinde in Deutschland eine solche Tradition und so viele Mitglieder hat. Über 11.000 sind es in der Hauptstadt, dagegen hat die zweitgrößte Gemeinde in Frankfurt am Main nur etwas mehr als halb so viele Mitglieder.
Die Berliner Gemeinde hat einen heißen Kandidaten: Andreas Nachama. Der 47-jährige Historiker und Kulturmanager, der die Dokumentation „Topographie des Terrors“ geleitet hatte, ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Hauptstadt-Gemeinde. Zur Nachfolge-Frage hat er sich bislang nicht äußern wollen. Er hatte am Wochenende den Sarg des Zentralrats-Präsidenten nach Tel Aviv begleitet, wo Bubis beerdigt wurde. Da wollte Nachama, der wegen des am Ende doch überraschenden Todes geschockt war, noch nichts zu den Spekulationen über die Nachfolge sagen.
Doch einer wagt sich vor: der streitbare Leiter des „Moses Mendelssohn Zentrums“ in Potsdam, Julius Schoeps. Der Professor für Geschichte ist Mitglied der Repräsentantenversammlung – des Führungsgremiums – der Jüdischen Gemeinde Berlins. „Die Telefonleitungen glühen“, sagt er. „Mit Sicherheit wird derzeit schon über die Nachfolgefrage diskutiert.“ Jetzt, nach dem Begräbnis von Bubis, sei das auch in Ordnung: „Es darf kein Vakuum entstehen.“
Schoeps nennt Namen für Bubis' Nachfolge: Paul Spiegel, Jahrgang 37, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, Salomon Korn, 1943 geboren und Vorstandsmitglied der Frankfurter Gemeinde, sowie Charlotte Knobloch, 66 Jahre alt, Gemeindechefin in München. Spiegel und Knobloch führen derzeit den Zentralrat kommissarisch.
Schoeps' Favorit aber ist Nachama – unter anderem deshalb, weil er zu den „Nachgeborenen“ gehört, die die Shoah nicht mehr selbst erleiden mussten. Von der Holocaust-Generation komme niemand mehr in Frage, schließlich gehe es jetzt darum, mit einem jüngeren Vorsitzenden eine Phase der „Normalisierung“ einzuleiten. Da sei Nachama der richtige Mann.
Einen weiteren Favoriten, Michel Friedman, der auch der Nachkriegsgeneration angehört, nennt Schoeps nicht – der Frankfurter Rechtsanwalt ist in der Berliner Gemeinde umstritten. Das medienbewusste Präsidiumsmitglied des Zentralrats wird von einem anderen prominenten Gemeindemitglied verächtlich als „der Schauspieler“ bezeichnet.
Viele stimmen diesem Verdikt im wesentlichen zu – eine junge Jüdin schimpft über „Friedman mit seiner Scheiß-Talkshow“, obwohl sie seine intellektuellen Fähigkeiten durchaus schätzt. Er sei zu narzisstisch, sagt ein anderes Gemeindemitglied – da wirke der weniger charismatische Nachama besser, weil er ehrlicher sei.
Doch es gibt ein Problem. Nachama ist – im Gegensatz zu den anderen Genannten – nicht Präsidiumsmitglied. Er müsste im Herbst ins Führungsgremium gewählt werden, um dann gleich den Vorsitz zu übernehmen, denn der Vorsitzende kann nur aus den Reihen des neunköpfigen Präsidiums kommen. Dennoch ist dieser Sprung möglich. Bedauern würden den Aufstieg Nachamas an die Spitze der Juden in Deutschland gleichwohl viele: Denn, so heißt es in der Gemeinde, „wer bleibt denn dann übrig in Berlin?“
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