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Liebe, Leben und Lohnarbeit

Ein Auf und Ab und Zwischendurch wie beim Wellenreiten: Die Surf-Poeten bringen jede Woche im Bergwerk alle zum Lachen, wollen die Revolution und werfen schlechten Menschen ihre Schlechtigkeit vor  ■   Von Katja Hübner

Ahne heißt eigentlich Arne. Er arbeitet bei der Organisation mit dem Roten Kreuz und bastelt dort Matrjoschkakästchen, die, wo eins in das andere passt. Manchmal rillt Arne auch oder prägt Goldschriften auf Kärtchen. Dabei hat er viel Zeit, darüber nachzudenken, wie er die Gesellschaft verändern kann. Zum Beispiel im Kampf gegen den „Zwang zur Lohnarbeit“ oder im Kampf gegen „die Milchkaffeeisierung“. Letzterer, so sagt er, sei leider schon verloren.

Der Kreis seiner DRK-Mitarbeiter ist jedoch für diese Rebellion zu klein geworden. Und weil das R in Arne sowieso niemand ausspricht, geht er unter dem Künstlernamen Ahne auf die große Bühne.

Auch sein Freund, der Brandenburger DJ Lieutnant Surf, hat seinen Namen nicht von der amerikanischen Armee geklaut. Bei dem ehemaligen Reserveoffizier und Empfangsfunker sieht man noch genau, wo das Käppi einst saß. DJ Lieutnant Surf ist in einer Computerfirma angestellt und legt, wenn es dunkel wird, unter seinem alten Titel seine Lieblingsmusik auf – Surfmusik, kalifornische Strandklänge der 60er Jahre.

Und dann ist da noch Gunar Klemm, kurz auch genannt Gunnah, der, wenn er aus der Kanzlei kommt, Schlips und Anzug in seiner Eigentumswohnung in Hohenschönhausen abstreift, um dann abends im T-Shirt, wie er sagt, seinen „Zynismus abzuarbeiten“.

„Herzlich willkommen im Surf-Poeten-Partyclub. Wir sind nicht nur ein Abend der Liga für Kampf & Freizeit, sondern auch eine Tanzveranstaltung.“ Das Hurra des anwesenden Publikums dröhnt durch den Keller des Bergwerk in der Bergstraße in Mitte.

Surf-Poeten – das sind sechs Autoren, unter ihnen Ahne und Gunnah, die an ein Mikrofon treten und selbstverfasste Texte vorlesen oder vorsingen und dabei immer wieder unterbrochen werden von einem Surfmusikstück aus DJ Lieutnant Surfs Plattenkiste.

5 Mark zahlt man für diese Veranstaltung, bei der sich Literatur mit Tanzmusik vermischt, bei der Texte auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden, ein ständiges Auf und Ab und Zwischendurch. Wie beim Wellenreiten über die Brandung eben.

„Eigentlich woll'n wir wie ne Sekte sein“, sagt Ahne über die Surf-Poeten, „so warm und wohlig und kuschlig“. Obwohl ausgerechnet dem Sänger des „Liedes von der Freiheit“ dieser Vergleich einfällt, hat die Veranstaltung tatsächlich etwas Gruppendynamisches. Jeden Mittwoch um 21 Uhr versammeln sich hier Freunde und Fans, sitzen auf Klappstühlen im ziegelgemauerten Raum bei Kerzenlicht und Bier, lauschen den Klängen der Beach Boys und warten auf die nächste Darbietung.

Einige der Zuhörer kommen schon seit zwei Jahren, immer wieder, jeden Mittwoch. Kein Wunder, sind die Surf-Poeten doch Autoren, die ihrem Publikum so nah sein wollen, wie sie nur können.

Nicht nur, dass sie auf eine Bühne verzichten und als „libertäre“ Aufführung jeden, der möchte, an ihr Mikrofon lassen: Sie sprechen dem Publikum zudem noch aus der „Seele“.

„Der Soldat der Volksarmee bewegt sich im Volk wie der Fisch im Wasser“, zitiert Lieutnant Surf den alten Mao Tse-tung. Deshalb auch das Ablesen der Texte an einem öffentlichen Ort – das gesprochene Wort bietet Zeit und Raum für spontane Reaktionen des Publikums.

Von der Sonnenfinsternis handeln die Texte, von Fußballern, Boxern und Männern, die in einer Einraumwohnung wohnen und trotzdem nicht einsam sind; von Taxifahrern, Blaumeisen, Lohnarbeit, von Liebe, von den Irrungen und Wirrungen des Lebens und seinen Abgründen: „Vorgestern besoffen gewesen. Gestern viel getrunken. Heute morgen aufgewacht und nachgedacht.“ Einfache und gerade Sätze, die irgendwie nachvollziehbar sind, ist uns ja allen schon mal so gegangen.

Wenn die Surf-Poeten lesen, liegt das Publikum mit ihnen gemeinsam flach: Grönemeyer und Jelzin-Witze – hier lachen wir und können nicht mehr. Hier sind wir kollektiv, hier möchten wir sein. Und wenn dann Lieutnant Surf noch Celantanos „Azurro“ auflegt, geht der individuelle Autorenkörper endgültig in einen Gemeinschaftskörper auf. Unvermittelt offen und unbefangen hüpft er auf der Tanzfläche wie die Hare Krishnas auf dem Alexanderplatz.

Und plötzlich steht dann ein junger Mann aus dem Publikum am Ort des Kampfes, dem Mikrofon, und haucht seine ersten literarischen Gehversuche in die Menge. Ein Student der Humboldt-Universität hat eine „Jagdtrilogie“ geschrieben. „Oh wie schön ist Kanada“ beginnt er, bis er sich verliest und noch mal von vorn anfängt. Ein Zeichen von Schwäche, ein kleiner Lacher, der Text ist schlecht, aber selbst das macht nichts aus – schließlich geht es ja um was anderes.

Wenn die Surf-Poeten lesen, wirken sie wie eine kleine, rebellische Familie, die noch immer daran glaubt, die Gesellschaft verbessern zu können. Wie die guten Menschen von damals hinterm Mond, die immer noch hoffen, mit der Kunst und dem DRK eine Revolution zu entfachen. Ein wenig gutgläubig stehen sie im Akt ihrer Selbstdarstellung hinter dem Mikrofon, mit ihren Stoffbeuteln und Plastiktüten, und werfen all den schlechten Menschen ihre Schlechtigkeit vor.

Doch eigentlich sind die Surf-Poeten in ihrem Idealismus und in ihrer Wut so liebenswert, dass man sie manchmal umarmen möchte. Einem kleinen Café, dem Kaffee Burger in der Torstraße, in dem sie sich öfter treffen, haben die Surf-Poeten ihre Unterstützung angeboten, falls der neue Eigentümer die Miete erhöhen sollte. „Denn dann müssten die Rentnerinnen, die dort noch bedienen, das Café schließen“, sagt Ahne. Mit einer Surf-Poeten-Veranstaltung will er deshalb helfen. Die Einnahmen bei der letzten beliefen sich auf je 25 Mark für Ahne, Gunnah und Lieutnant Surf. Der Kampf gegen den Zwang zur Lohnarbeit wird weitergehen.

Surf-Poeten immer Mittwochs 21 Uhr im Bergwerk, Bergstraße 68

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