: Strafbefehle wegen Aufruf gegen Jugoslawien-Krieg
Berliner Amtsgericht verurteilte zehn Kriegsgegner zu Geldstrafen zwischen 2.500 und 7.000 Mark. Widersprüche laufen bereits. Die Staatsanwaltschaft legte gegen die Ablehnung dreier Strafbefehle Widerspruch ein ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Ein Aufruf in der taz hat die Staatsanwaltschaften in mehreren Städten auf den Plan gerufen. Am 21. April erschien in der taz eine Anzeige, in der „alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind“, aufgefordert wurden, ihre Einsatzbefehle zu verweigern, sich von der Truppe zu entfernen und sich gegen den Krieg aufzulehnen. Begründet wurde der Aufruf damit, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen und somit grundgesetzwidrigen Angriff handle.
Nun wird in mehreren Städten gegen die 28 Erstunterzeichner ermittelt, unter ihnen Politikwissenschaftler, Bürgerrechtler, der Berliner Landesverband des Neuen Forums, das Kölner „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ und der Bundesvorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV).
Das Berliner Amtsgericht hat bisher gegen zehn Unterzeichner Strafbefehle zwischen 2.500 und 7.000 Mark erlassen. Darin heißt es, dass die Erstunterzeichner „öffentlich durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur „Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung“, aufgerufen hätten.
Die Verurteilten haben zum Teil bereits Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt. Sie wollen es auf einen Prozess ankommen lassen, um die Auseinandersetzungen um den Krieg noch einmal öffentlich zu führen. Das erhofft sich unter anderen die Kölner Soziologin Elke Steven vom „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, die einen Strafbefehl von 5.000 Mark erhalten hat.
Drei Unterzeichner haben vorerst keinen Strafbefehl bekommen, obwohl sie vor demselben Berliner Amtsgericht standen. Ihre Richter sahen eine rechtswidrige Tat nicht als gegeben an. Begründung: „Da die Frage, ob die Straftaten, zu denen aufgerufen wurde, rechtswidrig oder rechtmäßig sind, von den Erstunterzeichnern anders beantwortet wird als von der Staatsanwaltschaft, ohne dass man aber die Dogmatik und die Überlegungen in diesem Zusammenhang als abwegig bezeichnen kann, kann hier nicht nachgewiesen werden, dass der Beschuldigte und die übrigen Erstunterzeichner vorsätzlich zu rechtswidrigen Straftaten aufgerufen hat/haben.“ Gegen die Ablehnung dieser Strafbefehle hat die Staatsanwaltschaft Widerspruch eingelegt.
Nach Angaben des „Komitees für Grundrechte und Demokratie“ ermitteln auch die Staatsanwaltschaften in Bonn und Heidelberg gegen Unterzeichner und Verteiler des Aufrufs. Der Text war bereits am 1. April vor dem Verteidigungsministerium verteilt worden. Des Weiteren seien Ermittlungen wegen der Verteilung vor mehreren Bundeswehrkasernen aufgenommen worden.
Auch ein Sprecher der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, die zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehörte, hat einen Strafbefehl in Höhe von 1.200 Mark erhalten – aber nicht wegen des Aufrufs, sondern wegen eines „Ja, Morden“-Plakates mit den Köpfen von Schröder, Scharping und Fischer, auf dem ebenfalls zum Desertieren aufgerufen wurde. Der Anfangsverdacht der Beleidigung wurde zwar fallen gelassen, doch wegen des Aufrufes zur Desertation gab es einen Strafbefehl. Auch hier läuft ein Widerspruchsverfahren.
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