Zwischen den Rillen
: Eleganter denn je

■ Gänsehaut mit HipHop-Stempel: Tricky bleibt auch weiterhin unkategorisierbar

Tricky ist bekannt als größenwahnsinnige Diva, als Musikbusiness-Verächter und Plattenfirmen-Hasser. „Tricky“ heisst ebenso viel wie „schwierig“ oder „heikel“, und Tricky, der Künstler, hat schon immer versucht, der Bedeutung seines Namens gerecht zu werden. So sperrig, unzugänglich und doch schillernd wie seine Musik gibt er sich auch selbst. Tricky pflegt seine Animositäten zu anderen Popstars und verbittet es sich, mit dem Begriff „TripHop“ in Verbindung gebracht zu werden, obwohl alle Welt ihn als großen Innovator dieser Musik feiert. Warum auch sollte es Tricky anderen leichter machen als sich selbst? Schließlich ist er gerne Misanthrop, und einer Umwelt, die er verachtet, hat er nichts zu schenken.

Wo möglichst einfache Formen und Formeln gebraucht werden, versucht er die Sache kompliziert zu machen. Bei seinen letzten Tourneen war die Empörung groß, als er keinerlei Anstalten machte, mit dem Publikum zu kommunizieren; derart zur Schau gestellte Arroganz kommt selbst beim hartgesottensten Fan nicht gut an. Verwirrspiele mit Dress-Codes und das Auftreten in Frauenkleidern durchbricht deutlich das eher heterosexuelle, latent homophobe Selbstverständnis von HipHop. Und das übliche verkaufsstrategische Spielchen von Plattemachen, Interviewsgeben und Auf-Tour-Gehen ist mit Tricky nicht drin.

Trickys Musik zu erklären oder nur zu beschreiben war stets Schwerstarbeit. Besticht sie doch durch eine eigenartige Legierung aus „schwarzen“ und „weißen“ Elementen, aus Blues, Sly-Stone-mäßigem Soul-Funk und stoischem, „kalten“ New Wave. Dazu kommt Trickys magischer Gänsehaut-Sprechgesang und die Aufbereitung aller Elemente durch raffinierte Beat-Konstruktionen und den zielgenauen Einsatz eines Samplers. Der Einfluss diverser Drogen sorgte außerdem für den passenden Hauch von Psychedelic. Trickys Musik war paranoide Großstadtmusik voll morbider Schönheit. „Die Blumen des Bösen“ als Musik der Neunziger.

Umso überraschender ist nun „Juxtapose“, das neue Album von Tricky. Scheint es doch direkt dem feuchten Traum eines A & R-Managers entsprungen zu sein. Mit traumwandlerischer Sicherheit reiht sich hier ein großer Popsong an den nächsten. Ein Wunder. Denn eigentlich ist „Juxtapose“ amerikanischem HipHop nah wie keine Tricky-Platte zuvor. Und dennoch bleibt es Pop. HipHop-Pop, das dürfte Zielgruppenerweiterung mit Unendlichkeitsfaktor bedeuten, ohne jedoch anbiedernd zu wirken.

Tricky liebt Kollaborationen. Sein Debüt-Album „Maxinquaye“ ist atmosphärisch stark von der Stimme der Sängerin Martina geprägt, und auf der Platte des Tricky-Projekts Nearly God arbeitet er zusammen mit Björk, Neneh Cherry und anderen. Jetzt mit amtlichen HipHop-Produzenten und Rappern aus Amerika. DJ Muggs von den HipHop-Acts Cypress Hill und Soul Assassins hat viel mit produziert, genauso wie der ausgewiesene HipHop-Produzent Grease. Außerdem schnappt sich nicht selten der Rapper Mad Dog das Mikro, um den Sprechgesang Trickys um wahren Rap-Flow zu erweitern und der Platte endgültig einen HipHop-Stempel mit amerikanischer Prägung aufzudrücken.

Trickys Musik vor „Juxtapose“ durfte, zumindest ihm gegenüber, weder TripHop noch Bristol-Sound genannt werden. Unkategorisierbar eben. Mit Portishead und Massive Attack, den beiden anderen weltbekannten Acts aus Bristol, die Mitte der Neunziger einen riesigen Hype um die englische Hafenstadt auslösten, wollte er nie in einen Topf geworfen werden. „Englischer HipHop“ geht vielleicht gerade noch durch. Doch Tricky hatte schon immer auch ein Bein in Amerika. Er bekam von dort eine Menge an Respekt, brachte zusammen mit der amerikanischen Gothic-HipHop-Gruppe Gravediggaz eine EP heraus, und nun wohnt er – nach einiger Zeit in New York – in San Francisco. Was ihm gut zu tun scheint. Von der Sonne Kaliforniens hat er wohl nicht allzu viel mitbekommen, aber das Kalte, Nichthumane, Beklemmende seiner Musik, das atmosphärisch an einen Film wie Blade Runner Erinnernde, ist weitestgehend verschwunden. Nur die Gänsehaut bleibt. Denn Trickys Stimme und die präzis verschraubten Soundgerüste verströmen mehr zerbrochene Eleganz denn je.

Das Seltsame ist, dass gerade jetzt, kurz vor dem Jahr 2000, Tricky kein Bedürfnis mehr nach expliziter Verarbeitung von Endzeitstimmungen zu haben scheint. 1996 musste eine Platte von ihm noch „Pre-Millennium-Tension“ heißen, auf dem Cover der Platte eine Weltkugel in der Hand eines blau illuminierten Wesens. Auf einem Bild im Booklet der CD findet sich die Welt verformt (zerdrückt?) wieder. Vielleicht ist das Wesen Tricky selbst, der damit seinen Hass auf die Welt thematisiert. Dieser, der Hass, so betont er derzeit in seinen Interviews zur neuen Platte, ist ihm durchaus erhalten geblieben. Er findet immer noch alles um ihn herum beschissen. Doch mit „Juxtapose“ ist nun plötzlich etwas eingetreten, das es bisher bei Tricky so noch nicht gab. Die Musik versucht sich nicht mehr an gegenwärtigen Zustandsbeschreibungen, sondern sie imaginiert Zukunft, eine bessere Zukunft. Sie beschreibt plötzlich eine utopische „Post-Millennium-Non-Tension“. Die Musik trennt sich von der Person Tricky. Die Welt, die kommen wird, wird nicht anders sein als die jetzige, so Tricky. Aber man kann sie sich zumindest anders (besser) vorstellen, so die Musik. Andreas Hartmann
‚/B‘Tricky: „Juxtapose“ (Island)