: Zu viele Krimis geguckt
■ Mutmaßlicher Erpresser zeigt sich in Prozess um die Vergiftung von Thomy-Produkten als widersprüchliche Persönlichkeit. Das Ganze sei wie ein zwanghaftes Spiel gewesen
Frankfurt/Main (AP) – Kopfschüttelnd haben Richter und Staatsanwalt gestern das erste Geständnis des angeklagten Nestlé-Erpressers angehört. Der wegen gemeingefährlicher Vergiftung von Lebensmitteln inhaftierte 43-jährige gebürtige Rumäne, der in den Erpressungsschreiben gegenüber dem Weltkonzern eine starke Machtposition herausgekehrt hat, trat als Angeklagter eher kleinlaut auf. Er sprach von Schuldgefühlen, die er bei den Fernsehberichten über die von ihm vergifteten Produkte empfunden habe. Als Ausweg sei ihm sogar Selbstmord in den Sinn gekommen. Mit leiser Stimme beginnt er zu reden. Dem gebürtigen Rumänen fällt es offenbar schwer, mehrere Sätze auf einmal zu sprechen. „Mir wäre es lieber, wenn Sie mir Fragen stellen“, sagt er.
Er sei ein „Einzelgängertyp“, erklärt der 43-Jährige, seine Hobbys seien Tiere, Reisen und Musik. Tiere spielen bei der versuchten Erpressung eine entscheidende Rolle: Bekannte hatten ihm zwei Brieftauben für eine eigene Zucht überlassen. Dass diese sich für Transporte bei Erpressungen eignen, hat er in einem Krimi gesehen. Alexandru N. erzählt, er habe sich beim Fernsehen immer in die Lage der Verbrecher versetzt und auf deren Fehler geachtet. Er selbst hat sich danach jedoch gründlich verschätzt. Seine Brieftaube „Charly“ war es, die zu seiner Festnahme am 26. September 1998 führte.
Der Angeklagte stellt die Erpressungs- und Vergiftungsaktion als Spiel dar, aber auch als einen Zwang, dem er widerwillig habe folgen müssen. Er habe versucht aufzuhören, aber „es war wie eine Sucht, ich konnte mich nicht wehren“, sagt er. Ob das glaubhaft ist, soll ein Psychiater klären helfen. Das Verhalten des Angeklagten zeige einen „gewissen Widerspruch“, sagt die Verteidigerin. Sie hoffe auf ein Strafmaß, das „etwas über der Mitte“ der möglichen Spanne von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe liege. Auf gemeingefährliche Vergiftung stehen ein bis zehn Jahre Haft, wenn Menschen dabei nicht zu Schaden gekommen sind.
Die vergifteten Produkte enthielten tödliche Dosen Blausäure. Alexandru N. will nicht gewusst haben, wie hoch die tödliche Menge ist. In dem Buch, in dem er die Herstellungsanleitung gefunden habe, hätten Angaben dazu gefehlt. Bei der Präparierung der Adventskalender, die er an Privatadressen schickte, habe er weniger von dem gelben Blutlaugensalz genommen, erklärt er.
Die Rohdiamanten, die er von Nestlé erpressen wollte, sollten zwischen einem halben und zwei Karat groß sein. Auf die Frage, was er damit gemacht hätte, antwortet Alexandru N. lapidar: „Ich hätte sie zu verkaufen versucht.“ Der Angeklagte sagt wiederholt, er verstehe auch nicht, warum er das alles getan habe. „Ich versuchte die ganze Zeit, es mir selbst zu erklären.“ Der Prozess ist bis November terminiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen