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Die Waage-Mutigen

■ Mein Laden & ich - Die Samstagsserie der taz-hamburg. Teil 5: Andeas und Astrid Schmitt und ihr Waage-Geschäft

In diesem Geschäft ist alles im Gleichgewicht. Genau austariert, kein Gramm zu viel. In diesem Geschäft läuft alles abgewogen ab. Hier werden Waagen verkauft und nichts als Waagen. Winzig kleine und große mit einem massigen Betonfundament, Waagen für kleine Prisen, die nur Mikrogramm abwiegen, und Waagen für riesige 500-Tonnen-Kräne. Ein Exot mitten im exotischen Schanzenviertel, oder wie Inhaber Andreas Schmitt es ausdrückt: „Wir sind eine Nischen-Branche.“

Waagen-Schmitt an der Ecke Schanzenstraße/Bartelsstraße: Man kann beinahe nicht vorbeigehen, ohne zumindest mal kurz ins Schaufenster zu schauen. Da stehen gewaltige Industriewaagen neben kleinen Geräten, die man kaum anfassen mag, weil man Angst haben muss, sie zerbrächen sofort. „Wir haben den Anspruch: Bei uns bekommt man die Waage, die man braucht“, sagt Andreas Schmitt, der 1980 ins väterliche Geschäft eingestiegen ist. Inzwischen führt er den Laden gemeinsam mit seiner Frau Astrid.

Der Inhaber ist genau der richtige Typ fürs Produkt. Einer, der ausgeglichen wirkt. Der sagt, dass er sein Produkt Waage gern hat. Dem es aber auch nicht die Seele zerreißen würde, wenn seine vier Kinder eines Tages abwinken und das Geschäft nicht weiterführen möchten. „Mein Herz hängt nicht dran, dass es in Familienbesitz bleibt.“

Waagen für den Fischmarkt, Waagen für das Gemüse bei Aldi, Waagen für das Polizeilabor, Waagen für die Paketdienste und die Kaffeeröster – Schmitt liefert, was gewünscht wird. Und das macht die Sache für ihn auch so spannend. „Man kann in so viele Branchen hineinschauen, weil die Palette so groß ist. Wer die Augen offen hat, kann dann so vieles sehen.“ Eine Waage braucht schließlich fast jeder, der Apotheker genauso wie der Fahnder. Oder wer sonst mit Drogen zu tun haben mag.

Auf Schmittschen Waagen wird überall in Deutschland gewogen, ganze Handelsketten wie Kaufhof gehören zu seinen Kunden. Nur so rentiert sich das für den Händler Schmitt. Der private Kunde, der die alte Kaufmanns-Waage so hübsch findet und sie auf seinen Wohnzimmerschrank drapieren möchte – den gibt es auch, aber das macht nur einen Bruchteil des Geschäftes aus.

Auf insgesamt 35 MitarbeiterInnen ist der Personalstamm im Hause inzwischen angewachsen. Ein richtiges mittelständisches Unternehmen ist aus dem kleinen Laden geworden, den der alte Schmitt in den Fünfzigern im Schanzenviertel gründete, weil der Schlachthof in der Nähe war. Bei Schmitt arbeiten heute Kasachen, Türken, Österreicher, Iraner und Russen – und er findet, dass „das zum Schanzenviertel passt“. Verlassen will er das Viertel trotzdem und sich nach einem Gelände anderswo umsehen. „Nicht aus irgendwelchen politischen Gründen“, da legt er Wert drauf. Es ist an der Schanze einfach zu eng geworden für ein so großes Geschäft.

Waagen-Schmitt wächst und gedeiht, und dem Inhaber wird beim Zusehen manchmal richtig unheimlich zumute. „Früher habe ich jeden, der bei mir arbeitete, gekannt und wusste auch, was bei ihm privat los ist.“ Das war früher, heute kennt er manche gerade einmal vom Gesicht und vom Namen. „Zuweilen habe ich das Gefühl, man ist nur noch ein Zahnrad im Getriebe.“

Waagen unters Volk zu bringen ist sein Beruf, und trotzdem haben die Küchenwaagen, Postgebührenwaagen und Eiersortierwaagen nur einen Teil der Herzkammer eingenommen. So richtig in Begeisterung kommt Schmitt, wenn er von seinem Hobby zu sprechen beginnt. Irgendwann vor Jahren hat er angefangen, sich für Kutschen zu erwärmen, in allen Formen und Größen. Wenn Schmitt in einer historischen Kutsche sitzt und selber fährt, dann vergisst auch der Waage-Händler jede Ausgewogenheit.

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