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Adler schluckt Bärenmist

Die Berliner Müllentsorgung verlagert sich in das Brandenburger Umland, doch die erhofften Arbeitsplätze bleiben dort vorerst aus  ■   Von Holger Klemm

Brandenburg schluckt Müll. In Berlin werden Halden geschlossen, im Umland eröffnen neue. Erst Ende Juli machte die Bio-Kippe in Berlin-Wannsee dicht, wo Grünschnitt und BioGut kompostiert wurden. Bis zum vorigen Jahr noch galt der Grundsatz, dass Berlin für seinen Müll selbst verantwortlich ist. Diese Regelung wurde aufgeweicht. Die Brandenburger waren froh über jedes neue Projekt, hofften sie doch auf Arbeitsplätze für die gebeutelte Region. Doch diese Hoffnungen zerschlagen sich.

So auch in Münchehofe im Kreis Dahlwitz-Hoppegarten. Die Kompostieranlage im Osten von Berlin besteht seit 1978. Betreiber ist die Abfallwirtschaft und Recycling Berlin GmbH (AWU) mit dem Kompostierbetrieb Proflor. Die Anlage genießt Bestandsschutz. Meterhohe Berge aus Gestrüpp rotten auf der großen Sandfläche vor sich hin. Direkt zwischen Biotop und Vogelschutzgebiet. Von morgens bis abends kurven Lkw und Privatautos mit Hänger über den Platz und ziehen Staubwolken hinter sich her. In feuchten Zeiten verwandelt sich die Fläche in einen Sumpf.

Jetzt wird, fünf Minuten vom alten Platz entfernt, eine neue Kompostieranlage bebaut. Bis zu 40.000 Tonnen pro Jahr sollen umgesetzt werden, sagt Betriebsleiter Klaus Hermes. Ausschließlich Gras- und Heckenschnitt wird kompostiert. Nach zwei Jahren wird die fertige Erde verkauft. Bei den Abfällen aus der Biotonne wäre das anders. Nach zwei Jahren riecht die Biomasse noch sehr faulig. Als Abnehmer käme nur die Landwirtschaft in Frage. Und in der Gegend gebe es kaum noch Landwirtschaft, betont Hermes.

Anfang September wird die neue Anlage in Betrieb genommen. Hermes betont die Vorzüge. Der Boden ist ordentlich befestigt, die Ausrüstung moderner. Nitrate und Nitrite gelangen auch bei starkem Regen nicht mehr ins Grundwasser. Und es gibt einen Sozialtrakt für die Mitarbeiter. Die neue Lagerfläche von 1,3 Hektar wurde vollständig versiegelt. Zwei große Hallen aus DDR-Zeiten wurden ausgebaut. Der Umzug passiert, sobald das Bauordnungsamt Strausberg die Platte samt Abwasseranlage abgenommen hat.

Das Industrieszenario – nebenan befindet sich die Kläranlage – will nicht so recht zur dörflichen Idylle von Münchehofe passen. Der ehrenamtliche Bürgermeister Frank Grubitz hat die Nase voll. „Das ist das Letzte, was jetzt kommen darf!“ Es gebe im Ort kein ausgewiesenes Gewerbe- oder Industriegebiet. „Und für die Münchehofener fällt da kein einziger Arbeitsplatz ab.“

Eine weitere Anlage betreibt Proflor in Pankow. Der Lindehof ist ebenfalls Altbestand. Und Altanlagen genießen Bestandsschutz bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Sie dürfen bloß nicht umgebaut oder erweitert werden. Eine schon geplante Modernisierung verzögert sich. Auf dem angrenzenden Gelände beabsichtigten die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) die Hightech-Kompostierung. In diesem Zusammenhang wollte auch Proflor mitziehen. Doch die Pläne lägen jetzt auf Eis, sagt die Pressesprecherin der BSR, Sabine Thümler. Denn die Rechtslage hat sich geändert. Berlin hat seit einem halben Jahr eine Dauerlizenz für den Müllexport ins Umland und braucht keine eigenen Anlagen mehr zu errichten. So fahren die Container mit Bioabfall und Grünschnitt künftig ins Brandenburgische, „wo im Umkreis von fünf Kilometern niemand wohnt“, wie Thümler sagt.

Hermes ist mit weiteren Zukunftsplänen zurückhaltend. Erst einmal muss sich der neue Standort rechnen. Dann könne auch über Pankow-Lindenhof weiter nachgedacht werden. Bis Ende Juni nächsten Jahres hat er in Münchehofe beide Hände voll zu tun. Bis da hin muss der alte Platz beräumt sein. Dann sollen sich dort ein Biotop und Vogelschutzgebiet nach ihren eigenen Gesetzen ausbreiten können.

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