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Berlin auf dem Präsentierteller

Ab Montag wird die Republik aus Berlin regiert. Mit dem Umzug des Bundeskanzlers und der Minister rückt die Stadt stärker in den Blick der Nation    ■ Von Dorothee Winden

Ab Montag wird die Republik aus Berlin regiert. Der Bundeskanzler wird – frisch aus dem Urlaub im italienischen Positano zurück – nun seine Amtsgeschäfte vom ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin-Mitte aus führen.

Damit verändert sich nicht nur der Standort der Bundesregierung, auch Berlin rückt von der Randlage weit im Osten des Landes in den Mittelpunkt des Interesses. „Berlin wird künftig auf dem Präsentierteller sein“, erwartet der Sprecher der Berliner SPD-Fraktion, Peter Stadtmüller. „Die Stadt wird aus der Isolierung herauskommen. Berlin ist künftig mehr nach draußen veröffentlicht.“

Die Bundesregierung und das Parlament ziehen ein Pressecorps von rund tausend Journalisten internationaler und bundesweiter Medien nach sich. Auch wenn ihr Augenmerk vor allem der Bundespolitik gilt, wird die Stadt mehr liefern als nur die Hintergrundbilder für Staatsbesuche und Politikerinterviews. In der spannendsten Metropole Europas, dem Laboratorium für das Zusammenwachsen von Ost und West, einem Ort unterschiedlichster Subkulturen und Parallelwelten, werden die Journalisten auch auf Geschichten der Großstadt stoßen.

Berlin wird faszinieren. Oder sich blamieren – mit solchen Possen wie der Krise um die termingerechte Installation von Klappsitzen im Olympiastadion. Da zeigte selbst der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) mediengerecht seine Handwerkerqualitäten.

Walter Momper, der Spitzenkandidat der Berliner SPD für die Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober, erwartet vom Regierungsumzug eine gewisse heilsame Wirkung auf die Berliner Politik: „Ob einer die Fähigkeit zum Anschrauben von Klappsitzen im Olympiastadion hat, wird nicht der entscheidende Punkt sein, sondern ob er politische Führungsstärke hat.“ Das „kleine Karo“ der Berliner Politik werde nicht mehr die Rolle spielen. „Das kann der Berliner Politik nur gut tun.“

Die politische Atmosphäre der Stadt wird sich verändern. Die Käseglokke wird gelüftet: Die politischen Akteure auf dem Berliner Parkett kennen sich zum Teil schon seit Jahrzehnten. So überraschend es sein mag für eine Millionenstadt: Das politische Netzwerk ist eng geknüpft, die Dinge sind berechenbar. Mit der Ankunft der Bundesregierung ist es vorbei mit der Überschaubarkeit. Neue Allianzen sind denkbar. Als sich Bundeskanzler Schröder überraschend für den Wiederaufbau des Stadtschlosses aussprach, hatte die Hauptstadt-CDU einen unerwarteten Verbündeten gefunden. Die Berliner Genossen nahmen es verblüfft zur Kenntnis.

In der Hauptstadt werden künftig auch die politischen Konflikte der Republik ausgetragen. Ob Bauerndemonstration oder Anti-Atomkraftproteste – Großkundgebungen werden bevorzugt in Berlin stattfinden. Und auch für die Einheimischen ergeben sich neue Partizipationsmöglichkeiten: „Die Berliner haben künftig einen leichteren Zugang zu Bundespolitikern“, stellt die Spitzenkandidatin der Grünen, Renate Künast, fest. „Sie können sich mit einem Schild vor ein Ministerium stellen und protestieren.“

Dennoch: „So ungeheuer viel wird sich durch den Regierungsumzug nicht verändern“, schätzt Künast. Berlin habe sich durch den Fall der Mauer und das Zusammenwachsen der Stadt viel mehr verändert. „Der Umzug ist das optische Ende des Einigungsprozesses.“ Künast ist schon einen Schritt weiter. Sie hofft, dass Berlin bei der Osterweiterung der Europäischen Union eine eigene Rolle findet. Berlin sei durch seine Lage zwischen Ost und West prädestiniert, zu dem Ort zu werden, an dem das Zusammenwachsen Europas stattfindet: Es sei nicht nur der Ort, an dem sich viele Zuwanderer aus Osteuropa niederlassen. Berlin könne durch Kongresse auch zu dem Ort werden, wo das praktische Zusammenwachsen Europas diskutiert und projektiert wird.

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