Ein Beschützer der Welt

Bei der Gedenkfeier für den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, in Berlin war kein hochkarätiger Vertreter der Hauptstadt-SPD unter den Trauergästen    ■ Von Philipp Gessler

Nur eine Geste. Aber sie vermittelte mehr als alle Worte an diesem Vormittag im großen Saal der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße bei der Gedenkstunde für den verstorbenen Zentralratspräsidenten Ignatz Bubis: Der alte Oberkantor Estrongo Nachama, gekleidet in einen schwarzen Talar mit einem weißen Gebetsschal um die Schultern, strich mit seiner Rechten über das überlebensgroße Foto des Toten, als wolle er ihn streicheln. Die Orgel spielte noch einmal, dann leerte sich der Saal.

Etwa vierhundert Trauergäste waren gekommen, um Bubis in Berlin die letzte Ehre zu erweisen. Andreas Nachama, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Sohn des Oberkantors, würdigte den Verstorbenen als einen „Schomer Israel“: als einen jener Menschen, selten in jeder Generation, die Schaden von Juden, aber auch von der ganzen Welt abwenden. In sieben Jahren als Zentralratspräsident habe Bubis mit mehr als 600.000 Schüler bei Podiumsdiskussionen gesprochen, so Nachama, er sei ein „Pfadfinder der Beziehungen zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft“ gewesen. Nachama widersprach der resignierten Bilanz, die Bubis kurz vor seinem Tod gezogen hatte, wonach er „fast nichts“ bewirkt habe. Der Verstorbene habe im Gegenteil viel bewegt und hinterlasse „eine bleibende Spur“.

Die Rede war mehr als die Ansammlung schöner Worte, die bei Trauerfeiern fallen: Wie sein Vorgänger im Zentralratsvorsitz, Heinz Galinski, habe Bubis genauso das Wort ergriffen, wenn es um das Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit, wenn es um das Ausgrenzen von gesellschaftlichen Randgruppen ging. „Und es ist sein Vermächtnis, dafür zu kämpfen und zu wirken, dass jüdisches Leben in der Bundesrepublik zu etwas wird, was von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird, nicht hierzulande und nicht andernorts“, betonte Nachama – offenbar auch eine Replik an Kritiker des jüdischen Lebens in Deutschland, unter ihnen der israelische Staatspräsident Eser Weizman. Der hatte sein Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass Juden nach dem Holocaust noch im Land der Täter leben wollen. Bubis habe sich zu Wort gemeldet, so Nachama, wenn es die Aufgabe nichtjüdischer Politiker gewesen wäre zu sprechen. Vielleicht werde er deshalb den nichtjüdischen Deutschen am meisten fehlen, meinte der Berliner Gemeindevorsitzende: „Denn er sagte ihnen oft, was sie selber sich nicht zu sagen getrauen: Er sagte ihnen die Wahrheit.“

Mosche Waks, Präsidiumsmitglied im Zentralrat, verteidigte in seiner anschließenden Rede den Wunsch Bubis' nach einer Beerdigung in Israel als eine „ganz persönliche Entscheidung“, die vor allem aus der jüdischen Tradition zu verstehen sei. Bubis habe sich zwar – auch wegen seines gesellschaftlichen Engagements – als Bürger der Bundesrepublik verstanden, sagte der Stellvertreter Nachamas. Als „Frankfurter Lokalpatriot“ aber sei Bubis überzeugender gewesen. Er habe so auf die Gesellschaft wirken können, weil er eine wahrhafte und einnehmende Persönlichkeit gewesen sei.

Nachdem Oberkantor Nachama zum Abschluss das Kaddisch, das jüdische Totengebet, gesprochen hatte, verließen auch die vielen hochrangigen Vertreter der Berliner Parteien die Gemeinde – unter ihnen der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Renate Künast, und die PDS-Landeschefin Petra Pau.

Von der SPD war Manfred Stolpe gekommen, der Ministerpräsident von Brandenburg. Er könne es nicht beurteilen, erklärte er beim Weggehen, warum Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nicht seinen Urlaub unterbrochen habe, um zur Beerdigung von Bubis nach Tel Aviv zu fahren. Von der Berliner SPD war gestern in Berlin bei der Gedenkfeier kein namhafter Vertreter zu sehen. Es wäre eine Geste gewesen.