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Irland bleibt sauber    ■ Von Ralf Sotscheck

Das ist gerade noch mal gut gegangen. Fast hätte Irland den Sprung ins 20. Jahrhundert geschafft, bevor es zu Ende geht, da haben die Zensoren die Insel geschwind in die vierziger Jahre zurückkatapultiert. Es geht um In Dublin, ein zweiwöchentliches Stadtmagazin, das Veranstaltungshinweise und Restaurantkritiken, das Fernsehprogramm und Stadtnachrichten enthält – und Anzeigen für „Gesundheitsstudios“. Das ist der Zeitschrift zum Verhängnis geworden, vorletzte Woche wurde sie verboten. Man weiß ja, was in solchen Studios vor sich geht, seit ein Pfaffe vor ein paar Jahren in einem dieser Etablissements in den Armen eines blonden Adonis einem Herzinfarkt erlag. Er hatte Glück im Unglück: Zwei seiner Kollegen, die sich im Nebenraum vergnügten, verpassten ihm die letzte Ölung.

In Dublins Chef Mike Hogan, der auch die Zeitschrift der irischen Armee herausgibt, sagte, das Verbot sei hoffentlich „das letzte Aufjapsen eines Dinosauriers“. Die Zensurbehörde ist 1929 aufgrund einer Empfehlung des „Komitees für bösartige Literatur“ eingesetzt worden und machte sich sogleich an die Arbeit, die kleine katholische Insel vor schlechten Einflüssen zu bewahren. Neben einer Reihe einheimischer Schriftsteller traf es zwielichtige Autoren aus dem heidnischen Ausland: Zola und Thomas Mann, Kant und Hemingway, Sartre, Orwell, Remarque und Steinbeck mussten leider draußen bleiben.

1946 wurde das Zensurgesetz zum letzten Mal überarbeitet. Seitdem war jede Publikation verboten, die „die unnatürliche Verhinderung der Empfängnis“ fördert, darunter auch die „Haushaltstips für die junge Braut“ aus dem Jahr 1958. Der lächerlich harmlose Band, der ein paar Sätze über Verhütungsmittel enthält, steht auch heute noch auf dem Index. Wenn's die Irin nicht weiß, macht sie keinen Scheiß, dachten sich die Zensurfossile offenbar.

Merkwürdigerweise ist niemals ein Buch im irischen Gälisch verboten worden. Glauben die torfköpfigen Moralhüter, dass ohnehin niemand diese Sprache versteht? Selbst Bücher, die in der englischen Originalfassung verboten waren, durften in der irischen Übersetzung verkauft werden. Brian Merrimans „Mitternachtsgericht“, das die Zensurbehörde als zu schmuddelig für die Insel der Heiligen eingestuft hatte, gehörte in der irischen Fassung sogar zum Curriculum in den Oberschulen.

Mike Hogan hat jedenfalls schnell reagiert: Vorige Woche erschien In Dublins Nachfolger: Dublin. Bis auf das Wort „In“ unterscheiden sich die beiden Magazine durch nichts, selbst die beanstandeten Anzeigen sind wieder enthalten. Da man drei verschiedene Ausgaben an die Zensurbehörde einschicken muss, wenn man eine Publikation beanstandet, hat Hogan für sechs Wochen Ruhe. Sollte Dublin dann verboten werden, kann er es in About Dublin umbenennen. Und dann in Out of Dublin,Dublin Today, Dublin Tomorrow – dem Katz-und-Maus-Spiel sind keine Grenzen gesetzt, da die Zensoren von 1946 offenbar nicht mit der Schlechtigkeit ihrer Mitbürger gerechnet haben. Vielleicht kommen sich die fünf von der Reinlichkeitsprüfstelle irgendwann blöd dabei vor und ergreifen anständige Berufe.

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